dvdesk: Schwertkampf mit den Ohren
Der Film beginnt in Vietnam. Ist „Blinde Wut“ also ein Kriegsfilm? Ganz sicher nicht. Ist es ein später Vietnam-Trauma-Film, schließlich ist er 1989 entstanden? Nein, oder höchstens auf sehr indirekte und ziemlich frivole Weise. Nick Parker ist der Name des Helden, Rutger Hauer spielt ihn, penetrant blond ist sein Haar. In Vietnam verliert er, wie man in einer Rückblende sieht, durch eine Granate sein Augenlicht. Die Einheimischen, die ihn pflegen, lehren ihn den virtuosen Umgang mit einem Bambusstock, in dessen Innerem sich ein sehr scharfes Schwert verbirgt, mit dem er Gegenstände aller Art blitzschnell zerteilt.
Zurück in den USA, sucht Nick Parker einen Vietnam-Kameraden, seinen besten Freund Frank Deveraux (Terry O'Quinn), der ihn in der entscheidenden Situation im Krieg aber im Stich ließ. Parker ist, immer noch sehr blind und sehr blond, ohne festen Wohnsitz mit dem Schwertstock unterwegs. Er findet Parkers Frau, dessen Sohn, Deveraux lebt nicht mehr hier, aber er wird von einer fiesen Truppe von Gangstern gehetzt. Es kommt zum Wohnzimmer-Fight und Parker demonstriert das erste Mal sehr eindrucksvoll seine Kampfkunst. Mit dem Gehör ortet er seine Kontrahenten millimetergenau, er lässt sein scharfes Schwert sausen, und mit einem Schnitt an der richtigen Stelle sind sie sogleich niedergestreckt.
Klingt absurd, ist es auch, vor allem ist es aber eine Hommage an Zatoichi, den blinden Schwertkämpfer, eine der populärsten Figuren der japanischen Kinogeschichte. Ja, mehr als eine Hommage, sogar das sehr lose Remake des siebzehnten Films der endlosen Reihe, „Zatoichi Challenged“ von 1967. Es ist eine in jeder Hinsicht sehr untreue Form kultureller Appropriation, denn „Blinde Wut“ marodiert im Verlauf seiner knapp neunzig Minuten durch diverse sehr amerikanische Motive und Genres und ist aus heutiger Sicht in Sachen Frisuren, Kleidung, Musik und Humor mit Achtziger-Jahre-Vibes mehr als gesättigt.
„High Camp“ heißt der Ferienort in den Bergen, an dem der Showdown stattfindet. Zuvor war der Film zunächst ein Buddy-Movie, denn Parker zieht mit Deveraux' etwa zehnjährigem Sohn durch die Gegend. Und zwar auf der Flucht vor der mörderischen Meute, die den Sohn kidnappen will, um den Vater zu kriegen. Zwischendurch gibt es eine schussfreudige Autoverfolgungsjagd auf dem Highway, ein Versteckspiel mit Kämpfen und Schüssen im Maisfeld. Eine Sequenz im Kasino in Reno, in der Parker den Croupier per Schwertschnitt des Betrugs überführt.
„High Camp“ ist ein Ort, der – im Squaw Valley – real existiert. Aber high camp ist durchaus auch das, was der australische Regisseur Phillip Noyce, der ein exzellenter Handwerker sein kann, wenn er will, hier veranstaltet. Wirklich ernst gemeint ist das alles nicht, wenngleich die Komik eher durchs vielleicht nur halb freiwillig Absurde entsteht. Großen Wert auf Plausibilisierung von irgendwas legt der Film jedenfalls nicht. Das Drehbuch und auch die Regie nehmen sich ziemlich skrupellos alle Freiheiten, das zu tun und zu machen, was sie wollen: nämlich Rabatz, und zwar ohne den mindesten Feinsinn.
Das gelingt gut. Und hat viel mit Rutger Hauer zu tun, der den Blinder-Schwertkämpfer-Quatsch würdevoll durchsteht. Öfter mal von unten und von der Seite monumental vor die Linse gerückt, Schweiß auf Wange und Stirn. Aber in seinen Mundwinkeln zuckt es. Er hat vor dem Dreh lange mit Blinden und dann auch mit dem japanischen Achtziger-Jahre-Martial-Arts-Superstar Shô Kosugi geübt, der im Film im Showdown auch auftritt. Man muss die Erwartungen entsprechend justieren: Dann macht „Blinde Wut“ aber sehr großen Spaß.
Ekkehard Knörer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen