dvdesk: Messer und Masturbation
Acht Filme aus acht Ländern, acht Geschichten, die sich auf lokale Legenden beziehen, acht Horrorgeschichten von sehr unterschiedlichen, aber meist noch jüngeren, höchstens mittelalten, eher vielversprechenden als bereits etablierten Regisseurinnen und Regisseuren. Alles eher Arthouse, deshalb geht es auch kaum um Horror als kurzatmigen Schock aus dem Nichts. Der Schreck, der die Menschen in diesen Geschichten befällt, ist konkret und leibhaftig, auf blutende, schlotternde, sich öffnende, bedrohte Körper zentriert. Es werden hier Körper befallen, von Geistern und Teufeln, aber es wird auch der Mensch als Ganzer befallen, von der Angst vor Zerteilung, was nicht unbedingt Zerstückelung heißt, aber Verlust vor der Sicherheit der Grenze zwischen Körper und Welt.
Es gelangt Sichtbares und Unsichtbares in Körper hinein, Gestalten und Ungestalten treiben ihr Wesen und Unwesen draußen und drinnen. In Katrin Gebbes Film hat der Geist Trut eine schöne junge Frau befallen, irgendwo in der Vergangenheit, irgendwo im Wald, Kühe sterben, trüb ist die Linse trotz sehr nass-satter Farben. Trut besetzt und besitzt den Körper der Frau – sie fleht ihren Bruder an, er möge sie doch erschießen. Lieber der Tod als eine zu sein, die man nicht ist. Die Sache, von Gebbe in dunklen Tönen gefilmt, geht dann anders aus, als man denkt.
Ein Nachbargeist geht um im stärksten Film der Kompilation, „Die sündigen Frauen von Höllfall“, es ist gleich der erste. Er stammt vom österreichischen Duo Veronika Franz und Severin Fiala, das schon mit dem Langfilm „Ich seh, ich seh“, einer sehr leisen Horrorgeschichte, einschlägig auffällig wurde. Auch hier treibt die Drude ihr Unwesen, sie bedroht eine junge Frau, die sich in eine andere verliebt. Man trifft sich, und liebt sich, am Wasser, im Wald, mehr als misstrauisch beäugt von der Mutter der einen – gespielt von Birgit Minichmayr –, die zur Nacht als Drude die lesbische Liebe in Form eines Vagina-Attentat-Horrorschlunds zu verbieten versucht. Die Tochter aber wehrt sich, mit Messer und Masturbation, schlägt den sanktionierenden Muttergeist in die Flucht.
Horror dreht sich um verbotenen Sex und Identitätsverlust und Deformation und lebensgefährliche Grenzüberschreitung. Er kann kathartische Wirkungen haben, aber er ist seinem Wesen nach antiaufklärerisch und reaktionär: Natur und Mitmensch sind von drohenden und strafenden Geistern besetzt, lähmende Ängste sanktionieren den Verstoß gegen Gesetze und Regeln. Insofern stellen Franz und Fiala das Prinzip des Horrors auf den Kopf: Sie erzählen vom Sieg gegen die strafende Ungestalt, von gelingender Emanzipation, vom Schrecken, den eine Frau hinter sich lässt.
In der Kompilation stehen sie damit allein. Der türkische Regisseur Can Evrenol lässt in seinem sehr wirkungsvollen Film, der nicht als einziger den Geißbock als Horrorgestalt zeigt, Al Karisi, den Geburts-Dschinn, gegen die Mutter obsiegen. Zu einem veritablen Hexen- oder eher Hexersabbat ruft der griechische Regisseur Yannis Veslemes in „Was zum Teufel ist mit Panagas, dem Heiden passiert?“
Peter Strickland erzählt ein als Stummfilm stilisiertes Märchen zweier um eine Prinzessin konkurrierender Brüder. Agnieszka Smoczynska lässt einen Mann im stimmungsvoll ausgebleichten Dunkeln die Herzen frisch Verstorbener aus Leichen schneiden und mampfend verspeisen. Der Inder Ashim Ahluwalia dreht in einem Historienfilm den Spieß gegen einen britischen Kolonisateur. Nur der Melonenkopf-Horror von Calvin Reeder ist eher läppisch. Sonst, selten der Fall bei Kompilationen, ist das alles interessant, unberechenbar. Viel blanker und doch schlauer Horror.
Ekkehard Knörer
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