dvdesk: Irgendetwas braut sich hier zusammen
Die erste Hälfte des Films, rund fünfzig Minuten: ausbaldowern des Raums. Eine Kneipe, tief in der chinesischen Provinz, tief auch in der chinesischen Geschichte. Es ist das Jahr 1366, aber dafür ist hier einiges los. Da ist die Gruppe von Spielern am großen Tisch, die einander beim Würfeln betrügen. Da ist der schmierige Zocker, der immer nach einer der vier jungen Frauen grapscht, die unter der Aufsicht der Chefin Speisen und Getränke servieren und von denen man im vertraulichen Gespräch zweier Gäste erfährt, dass sie alle eigentlich Trickdiebinnen sind. Da ist der hagere Mann mit dem castagnettenartigen Klapperteil in der Hand, der die Gäste mit seinen Impro-Raps nervt.
Irgendetwas läuft hier, irgendetwas braut sich zusammen. Und Kamera, Regie und Musik brauen kräftig mit. Die Kamera blickt oft von tief unten, Sitzhöhe bestenfalls, wirft dann aber auch wieder sehr schräge Totalen auf den Gastraum von oben. Dazwischen liegen blitzartige Schnitte, sie zeigen das Konspirieren der Blicke. Die Musik von Joseph Koo zupft manchmal leise Misstöne dazu, schwillt kurz an, schweigt wieder und gelegentlich macht sie Radau. Vor allem, als einmal Gewalt in die Geschäftigkeit bricht: Zwei Männer mit korbartigen Hüten (die Kopfbedeckungen sind überhaupt allesamt toll) zücken, nachdem ihr Betrug beim Würfelspiel auffliegt, die Schwerter. Sie werden von den sehr flink durch den Raum springenden und fliegenden Frauen gestellt und vermöbelt.
Das ist der King Hu, den man kennt: ein Regisseur mit Herz für Martial-Arts-Kämpfer, vor allem immer auch für Kämpferinnen. Hu drehte seinen ersten großen Erfolg „Come Drink With Me“ 1966 noch für die Shaw Brothers, überwarf sich aber sogleich mit ihnen. In der Folge erfand er, zunächst in Taiwan, dann wieder in Hongkong, wenn auch nicht ganz im Alleingang, das Wuxia-Genre neu, jene sehr spezielle Mischung aus Historienfilm mit Martial-Arts- und Geisteranteilen. Dieser Film, „The Fate of Lee Khan“, ist nicht so berühmt, ist auch kein Wuxia im engeren Sinn, Historienfilm ja, jedoch ohne Geister. Eigentlich sehr viel eher ein Western.
Der Kneipe, die ein Saloon ist, nähern sich Prinz Lee Khan und seine Schwester, Prinzessin Wan-her, Abgesandte des Kaisers, um Verräter aufzuspüren und eine Revolte in der Provinz zu ersticken. Erst einmal werden die beiden von konspirierenden Kamerablicken, Schnitt und Musik in den bis dahin so großartig etablierten Raum integriert. Aber dann fallen die Masken, blitzen und klirren die Schwerter, fliegen und flattern die Körper, wird, man ahnt mehr Blut als man sieht, auch gestorben. Zum großen Finale geht es hinaus ins Freie, das man vorher nur zwischendurch sah: eine von Tafelbergen durchzogene Westernlandschaft, die perfekt zum Saloon passt, der freilich ganz ohne Westernstadt höhlengleich sich in eine menschenverlassene Anhöhe schmiegt.
Vom Drinnen befreit können die Körper nun schweben, in scheinbar endlosen Sprüngen, schwerelos flatternd, Schnitte mit Blicken nach oben in die Sprünge hinein nehmen ihnen alles Erdschwere. Choreografiert hat diese atemberaubenden Szenen Sammo Hung, der die Martial Arts dann in den Achtzigern mit großem Erfolg (etwa mit Jackie Chan) in Stadtszenerien mit ausgedehnten Fights erdete. Beim Dreh zu „The Fate of Lee Khan“ war er gerade 20, aber die Kämpfe sind toll und fügen sich zu King Hus Stil, der hier weniger als in den Klassikern frei dreht, dafür aber Drinnen und Draußen, Sitzen und Fliegen, Spiel und Kampf wunderbar ausbalanciert.
Der Film ist weniger spektakulär als die anerkannten Meisterwerke „Dragon Inn“ oder „A Touch of Zen“, er war auch lange nicht besonders gut greifbar. Die DVD-Edition von Eureka zeigt aber, dass er alles andere als ein Nebenwerk ist.
Ekkehard Knörer
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