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dvdeskDer Ernst und die Ruhe

Ein Mann geht sehr nachdenklich seinen Weg. Genauer gesagt: Die meiste Zeit fährt er. Durch kalifornische Städte, durch kalifornische Wüste. Sein Name ist Frank. Es spielt ihn RP Kahl, der Regisseur des Films. Ein sehr deutscher Regisseur, den es nach Kalifornien verschlägt. Frank ist ein Mann mittleren Alters, etwas verfolgt ihn. Der Film spielt in der Zukunft, 2019 heißt es ganz zu Beginn, aber in Wahrheit holt ihn eher die Vergangenheit ein. Oder er sucht sie, die Vergangenheit, er beschwört sie, da war etwas mit einer Frau namens Marie, an einem Ort namens Bunker, in der Wüste, etwas mit Striptease und Sex, etwas mit zwei Frauen, von denen eine Hope, die andere Des­tiny heißt, die Hoffnung, die das Schicksal küsst. Die Vergangenheit jedoch bleibt vergangen, Frank findet nicht, was er sucht.

Er findet aber ein Buch, von dem er glaubt, dass es die Geschichte von damals erzählt; er findet die Verlegerin Liz Archer (Deborah Kara Unger), die ihm versichert, dass er sich das alles einbildet, dass das Buch mit seiner Geschichte gar nichts zu tun hat, aber sie erzählt auch mit großartig dunkler Stimme dies und das, man will gar nicht so genau wissen, worum es geht, die Stimme allein ist das Eintrittsgeld wert. Frank findet ein Grab und eine Prostituierte beziehungsweise Sexdarstellerin namens Nina (Ava ­Verne), die ihn zu einer anderen führt, von der er glaubt, sie sei die gesuchte Marie oder Hope oder Destiny.

Die beiden engagieren ihn als Regisseur für Pornoaufnahmen, die nur der Vorwand für gekauften, verbotenen Sex sind. Die Männer tragen Mützen, man erkennt sie nicht. Frank filmt den Sex, der (in der längeren von zwei Fassungen) explizit wie im Porno ist, aber ein Porno ist „A Thought of Ecstasy“ nicht. Was noch am wenigsten daran liegt, dass im Abspann Jean Baudrillard mit einem raunenden Satz zum Thema Verführung zitiert wird.

„A Thought of Ecstasy“ ist ein Film, der in der Nacherzählung nach einem mit Noir-Momenten vermischten Groschenroman klingt. Dass Kahl die Sache dem Ton und allen weiteren Signalen nach ernst meint, dass er so offenkundig einen archetypischen Kalifornien-Film drehen wollte, hilft der Sache auf den ersten Blick nicht. Der Ernst, die Ruhe, die Bilder der Wüste, der Stadt, die Stimme von Deborah Kara Unger, die finsteren, verstörten Blicke von Kahl, der kein guter Schauspieler ist, all das macht etwas mit den Klischees. Auch dass Kahl sich und seinen Körper den Blicken der Zuschauerin aussetzt, nackt auf dem Bett, nackt wie in Antonionis „Zabriskie Point“ in der Wüste, nackt im Gesicht und auch mit nackter Verzweiflung, das nimmt der Konstruktion alles Frivole.

Es geht nicht um den Plot, sondern um eine Art atmosphärisches Destillat aus den Figuren, Räumen, Noir-Konstellationen. Der explizite Sex heizt Stimmung und Blicke nicht an, sondern kühlt sie ab, führt Psychologie auf Körper zurück: Ein erigierter Schwanz ist ein erigierter Schwanz, eine Hand in der Vagina ist eine Hand in der Vagina. Oder vielmehr oszilliert der Film zwischen der Schwüle seiner erhitzten Fantasien von toten oder imaginären Frauen, die sich ewig entziehen, und der Sachlichkeit des nicht erotisierenden, sondern pornografischen Blicks. Die bedeutungsschwangeren Sätze, die Kahl selbst als Voiceover spricht, nimmt man besser als Soundtrack, zu dem sich Buddy Giovinazzos Radiostimme und vor allem die Sounds der Musik fügen, darunter Gajeks aufregende Elektronikversion von Mahlers 1. Sinfonie. Wenn man sich auf all das einlässt, versetzt einen „A Thought of Ecs­tasy“ nicht in Ekstase, aber in eine Art Trance, in die man im Kino eher selten gerät.

Ekkehard Knörer

Die DVD ist ab rund 15 Euro im Handel erhältlich

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