dvdesk: Selbstmitleid ist dieser Frau eher fremd
Von den großen männlichen Schauspielstars der siebziger Jahre hatten einige auch als Regisseure Erfolg. Robert Redford hat gleich mit seinem ersten Film, „An Ordinary Family“, den Oscar gewonnen, was folgte, war meist mindestens respektabel. Clint Eastwood kam über das Genre und seinen Lehrmeister Don Siegel zur Regie und wird heute von vielen als einer der Letzten verehrt, der gegen den Bombast des Blockbuster-Kinos den lean spirit New Hollywoods hochhält. Auch Paul Newman hat sich mehrfach hinter der Kamera versucht, seine Filme allerdings sind heute mehr oder weniger vergessen.
Nicht unbedingt zu Recht. Sein dritter Film, 1972 entstanden und im Wettbewerb von Cannes zu sehen, ist in mehrfacher Hinsicht beachtlich. Auch was den Titel betrifft, der der Aufnahme des Werks in den Kanon vermutlich eher im Weg stand: „Die Wirkung von Gammastrahlen auf Ringelblumen“ beziehungsweise im englischen Original „The Effect of Gamma-Rays on Man-in-the-Moon Marigolds“, lautet der nämlich, ist aber nicht auf dem Mist von Newman gewachsen. So hieß schon das mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Broadway-Stück von Paul Zindel, das Newman verfilmt hat.
Der Titel deutet in Richtung Science-Fiction, damit haben Stück und Film aber gar nichts zu tun. Vielmehr sind sie das Porträt einer Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs. Sie trägt den auch nicht ganz glücklichen Namen Beatrice Hunsdorfer und ist eine Mischung aus Blanche Dubois, der Unglücksfigur aus „Endstation Sehnsucht“, und manchen der von Gena Rowlands gespielten Frauenfiguren in den Filmen von John Cassavetes. Allerdings ist sie auch, was fürs Hollywood-Kino der Zeit erst recht selten ist, eine alleinerziehende Mutter, noch dazu von zwei Töchtern, deren Vater die Familie erst einfach verließ und bald darauf starb.
Sie hat viel geilen Text
Männer spielen in „Die Wirkung von Gammastrahlen auf Ringelblumen“ keine tragenden Rollen. Hier und da kommt Beatrice mit einem ins Gespräch, wenn man Gespräch sagen kann zu scheiternden Flirtversuchen (der Handwerker von nebenan), sentimentalen Highschool-Reminiszenzen (ein Polizist) und in einer Schimpfkanonade endenden Telefonkonversationen (der Lehrer an der Schule der jüngeren Tochter). Beatrice ist, das zeigt sich nicht nur an ihrer Beziehungsaufnahmeunfähigkeit, eine Unglücksfigur und gescheiterte Existenz. Stück und Film suchen die Schuld eher in ihrem Charakter als in sozialen Pathologien (aka patriarchalen Strukturen), haben also mit Feminismus wenig zu tun.
Für Joanne Woodward, die diese Beatrice spielt (und in Cannes dafür als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde), ist die Rolle aber ein gefundenes Fressen. Sie hat, mit Sophie Rois zu sprechen, viel geilen Text. Dieser Beatrice ist Selbstmitleid eher fremd, sie ist durchaus das Subjekt ihrer eigenen sarkastischen Bösartigkeit und hat gegen Ende einen ganz großen Auf- und dann auch gleich Abtritt. Einiges Augenmerk und sehr viel mehr Sympathie gilt den Töchtern. Matilda, die jüngere (gespielt von Nell Potts, der Tochter von Woodward und Newman), reüssiert in der Schule mit naturwissenschaftlichen Experimenten – daher auch der Titel des Films. Das Freeze-Frame-Ende rückt ihr Gesicht ins Bild, als Zeichen der Hoffnung auf die nächste Frauen-Generation.
Ekkehard Knörer
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