piwik no script img

Archiv-Artikel

dvdesk Die Schnitte funktionieren wie Falltüren: Jedes Bild bringt neue, ungeahnte Attraktionen

Hemmungslos fabulierende Fantasieproduktion: „Julia und die Geister“ (1965) von Federico Fellini

Desperate Housewife, allein zu Hause. Es ist Giuliettas (Giulietta Masina) und Giorgios (Mario Pisu) fünfzehnter Hochzeitstag. Das Haus und der Garten sind voller Gäste, es kommt zu Tischerücken und Geisterbeschwörung. Vorerst bleibt aber alles im Rahmen des Realen. Das drängende, fast gehetzte easy-listening-artige Leitmotiv der Musik von Nino Rota taucht auf, verschwindet, wird den Film bis zum Schluss rhythmisieren. Die Kamera gleitet durchs opulent eingerichtete Haus, durch den Garten, nähert sich einzelnen Personen, Gesichtern, gleitet, und sei es im Schnitt, weiter und weiter, durch das Haus und den Garten, als sei es ein Leichtes, als sei das Gleiten die natürliche Bewegungsart des Kamerablicks.

Giulietta und Giorgio gehen zu Bett. Er schläft ein und murmelt gleich zweimal den Namen Gabriella. Giuliettas Verdacht, ihre Eifersucht sind geweckt. Und der Verdacht, die Eifersucht wecken die Geister. Kaum eine Kritik und Lektüre kann sich die biografische Lesart des Films verkneifen. Federico Fellini, der untreue Ehemann, schreibt und inszeniert seiner Ehefrau Giulietta Masina eine schweifende, wuchernde, verzweifelte Eifersuchtsfantasie auf den Leib. Fellini betreibt hier, wollte man das so sehen, das Filmemachen als Wunscherfüllung und Geisterbeschwörung. Der Wunsch, den er sich erfüllte, wäre der seiner eigenen Entschuldung durch die Behauptung, dieser Film sei nichts als ein Geschenk für die betrogene Ehefrau. Dabei ist er natürlich nichts als reiner Fellini.

Freilich war, als „Julia und die Geister“ entstand, noch nicht so klar, was einmal als reiner Fellini gelten würde. Berühmt geworden war der Regisseur mit seinem neorealistischen Meisterwerk „La Strada“. Unmittelbar vor „Julia“ war „8 1/2“ entstanden, der bis heute in vielen Kritikerbestenlisten auftauchende Film übers Filmemachen, im Zentrum Marcello Mastroianni als Regisseur. Mit „Julia“ kommen die Farben ins Spiel, mit „Julia“ kommt die bunte, opulente, hemmungslos fabulierende Fantasieproduktion, die zum Markenzeichen des mittleren und späten Fellini wird, zum Ausbruch. Und wehe, wenn sie losgelassen!

Nimmt man den Film beim Wort, dann ist alles, was man sehen wird, dem subjektiven Blick der Heldin gedankt. Als immer auch bedrohliche Wunscherfüllung, als eskapistische Träumerei Giuliettas, bis hin zur Wiederkehr des Verdrängten in der Erinnerung an ein Theaterspiel der Kindheit, in dem Giulietta verbrannt wird. Doch diese Rückbindung ans Betrugstrauma bleibt lose, Fellini und der Film interessieren sich weit weniger für Giuletta als für ihre Geister. So kommt es, auf den ersten Blick jedenfalls, zur Verselbstständigung der Paraden und Scharaden und der Kostüme und Maskenbälle. Im Überbordenden von Dekor und Ausstattung bleibt Julia/ Giulietta Masina stets gekleidet wie die Direktorin in diesem ihrer Kontrolle entzogenen Traumzirkus: in Hose und knappem Kostüm, die Frisur immer korrekt, die Züge fest zusammengenommen und nur gelegentlich einen nicht zu großen Hut auf dem Kopf.

Und doch hält sie, als das machtlose Gegenprinzip, als das Gesicht mit den großen Augen, auf das der Blick der Kamera, als wüsste er nicht, warum, wieder und wieder zurückkommt, die Bilderflucht von „Julia und die Geister“ zuletzt zusammen. An nichts wird gespart in der rasenden Folge opulenter Szenerien, die der Film, der nicht kurz ist, in großem Tempo durchgleitet. Berückende Perücken und irrwitzige Hüte, berüschte Damen und Kapuzen tragende Gestalten: Julia, um deren Fantasien es sich nominell handelt, macht nicht mit. Sie hält Distanz, sie nimmt sich zusammen, wo alles auseinanderdrängt. Die Kamera bewegt sich unberechenbar durch die in Häusern und Garten Gruppierten, greift sich hier ein Gesicht in Großaufnahme, fängt dort einen Dialog ein – und landet zuletzt doch wieder bei Giulietta. In „Julia und die Geister“ funktionieren die Schnitte wie Falltüren: Man weiß nie, welche Attraktion im nächsten Bild auf einen zukommt. Alles scheint möglich, die Fantasie kennt weder Grenze noch Gesetz. Der Film ist ein Rausch, aber durch diesen Rausch bewegt sich nüchtern die Heldin; gewiss nicht als Zeremonienmeisterin, nicht einmal als richtige Identifikationsfigur. Und doch bleiben einzig unvergesslich, denkt man an all die Bilder und Szenen zurück: das Gesicht, die Augen, der Körper von Giulietta Masina. Es ist, als läge ihr Triumph darin, das Geschenk, als das der Film sich aufdrängt, Bild für Bild und Szene für Szene mit großer Noblesse zurückzuweisen.

EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist bei Arthaus erschienen, hat keine nennenswerte Extras und ist für rund 15 € im Handel erhältlich