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doppelblindWolke aus Schleim als Haus

Wenn Wis­sen­schaft­le­r*in­nen Tiere und Pflanzen untersuchen, nehmen sie sie gern mit, um sie in Scanner, unters Mikroskop oder in kontrollierbare Umgebungen zu stecken. Oktopusse, Quallen und andere Tiere mit weicher Haut erstarren oder zerfallen außerhalb des Wassers jedoch häufig. For­sche­r*in­nen fällt es deshalb schwer, sie zu untersuchen. Die Raumfahrt­ingenieurin und Biologin Kakani Katija hat einen Weg gefunden, die Weichtiere zu erforschen, ohne sie aus dem Wasser nehmen zu müssen.

Auf einer Forschungsexpedition beobachtete sie 2014 ein faustgroßes, kugelartiges Wesen mit einem zuckenden Schwanz – und um das Geschöpf herum eine Wolke aus Schleim. „Ich hatte sofort alle möglichen Fragen“, sagte sie dem Magazin New Yorker. „Was ist dieses Ding? Ganz grundsätzlich: Wie kann dieses Ding existieren?“

Das Tier, das Katija beobachtet hatte, war Bathochordaeus stygius, eine Spezies der Klasse Larvacea. Wis­sen­schaft­le­r*in­nen versuchten schon seit Jahren herauszufinden, wie dessen Körperteile zusammenpassen und welchem Zweck die Schleimwolke dient. Katija hatte einige Jahre zuvor mit einer Technik aus der Raumfahrtforschung modelliert, wie sich Wasser um Quallen herum bewegt. Jetzt suchte sie nach einer Möglichkeit, diese Technik, die sie Particle Image Velocimetry oder PIV nannte, bei Larvacea anzuwenden. Dafür rüstete sie ein ferngesteuertes U-Boot mit einem Ein-Watt-Laser aus. Der Laser durchleuchtete verschiedene Schichten der Tiere, und eine hochauflösende Kamera lieferte Fotos, die dann von einem Computer für ein 3D-Modell gestapelt wurden. Das konnten Wis­sen­schaft­le­r*in­nen drehen, wenden und durch andere Modelle laufen lassen, zum Beispiel, um die Wasserströme durch die Schleimwolke zu simulieren.

Erkenntnisse für die Raumfahrt

Die Ergebnisse fasste Katija 2020 gemeinsam mit Kol­le­g*in­nen in einer Studie im Fachmagazin Nature unter dem Titel „Revealing enigmatic mucus structures in the deep sea using Deep PIV“ zusammen. Sie fanden heraus, dass die Schleimwolke – die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen nennen sie „Haus“ – direkt aus dem Kopf des Tiers kommt und sich innerhalb etwa einer Stunde aufbläht. Sie dient dazu, Partikel abzufangen, die zu groß für das Verdauungssystem des Manteltiers sind. Das Besondere ist, dass die Tiere ihr Haus nicht aus Materialien bauen, die sie in ihrer Umgebung finden, sondern sie selbst erzeugen.

Die Komplexität der Häuser sowie ihre Fähigkeit, zwischen verschiedenen Partikeln zu unterscheiden und sie dann entweder durchzulassen oder aufzuhalten, könnten als Vorlage für Pump- und Filtersysteme oder leichte, aufblasbare Module im Weltraum dienen.

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