piwik no script img

documenta11 spotEija-Liisa Ahtilas Videoinstallation „The House“

Kuh im Zimmer

Sind Sie jemals zwischen Ihren eigenen Träumen spazieren gegangen wie in einem Ausstellungssaal? Haben Sie schon mal eine Tür geöffnet, hinter der es zehn Jahre früher war als auf dieser Seite der Schwelle? Kennen Sie den Schreck, wenn ein geheimer Gedanke auf einmal leibhaftig um die Ecke biegt?

In den Filmen und Videoinstallationen von Eija-Liisa Ahtila sind solch ungewöhnliche Erlebnisse an der Tagesordnung. Sie umstellt den Besucher mit Leinwänden und Monitoren, deren Bilder zwar stets eine Geschichte erzählen, aber aus unterschiedlichen, leicht verschobenen Blickwinkeln. Immer geschieht seitlich oder hinter mir etwas, das ich nicht genau beobachten kann. Der eine Raum des Sehens zerfällt, und selbst wenn die zweite Leinwand womöglich das gleiche Zimmer zeigt wie die erste, so doch vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt. So versetzt die Regisseurin den Beobachter in Ungwissheit, die schon an bisschen an das erinnern, was ihre Figuren erleiden.

Kurz nur ist die Geschichte „The House“, mit der sie auf der documenta in der Binding-Brauerei vertreten ist. Eine junge Frau bezieht ein kleines Haus im Wald. Sie merkt, wie in dem einen Raum andere Orte und Zeiten gegenwärtig sind. Sie hört sie. Eine Kuh, die eben noch auf dem Bildschirm ihres Fernsehers zu sehen war, stapft durch das Wohnzimmer. Beunruhigt ist die junge Frau, aber sie nimmt ihre Erfahrungen an wie etwas, dem sie nachgeben muss. Sie verhängt die Fenster, um sich ganz auf die Stimmen zu konzentrieren. Wen wundert es da noch, dass sie bald durch den Wald fliegen, oder vielmehr, durch die Baumwipfel treiben kann, als wäre die Luft aus Wasser?

Die Autorin hat in ihren Recherchen unter anderem mit Frauen geredet, die an einer Psychose gelitten haben. Doch deren verschobene und als störende Krankheit erlebte Erfahrung, die schwer mit den Erfordernissen der Alltagsbewältigung zu vereinbaren ist, wird in „The House“ zu einem Erlebnis von großer Wahrscheinlichkeit. Zwischen der romantischen Verklärung des Wunders im Märchen und dem ausgrenzenden Blick, der nur die Behinderung in solchen Wahrnehmungen sieht, hat Ahtila eine dritte Erzählweise gefunden, poetisch und liebevoll. Erinnerungen, Gefühle, Ängste, Wünsche erscheinen als die Energien, die die Ereignisse steuern. Sie sind von so großer Intensität, dass sie auch noch fortexistieren, wenn ihre Träger schon gegangen sind. Aus pragmatischen Gründen hat man gelernt, diese Parallelwelten im Alltag zu ignorieren. Nur wenige geben sich, wie die junge Frau in „The House“, die Mühe, auf diese Strömungen zu achten.

Finnische Texte mit englischen Untertiteln, in die Kamera gesprochene Sätze und Kommentare im Off: Alle diese Details nutzt Eija-Liisa Ahtila ebenso wie die drei unterschiedlichen Leinwände, die Linearität der Erzählung aufzulösen. Es kommt auch jeder Besucher zu einem anderen Moment des Films an und entscheidet selbst, wie lang er der Geschichte folgt. Man springt so hinein zwischen die drei verschiedenen Kameraeinstellungen, als ob man sich bei drei Freundinnen, die gemeinsam im Kino waren und sich nun drei verschiedene Fassungen des Films erzählen, an den Tisch setzen würde. So nimmt auch die Filmerzählung selbst etwas von der Vielstimmigkeit, dem kollektiven Murmeln an, dessen sich die Heldin gewahr wird.

Visionen scheinen nicht nur in diesem Film Ahtilas eigentlich sehr logische Ereignisse. Im Haus im Wald erinnert sich die Frau, wie sie mit einer Freundin am Hafen saß; auf einer der Leinwände glitzert das Sonnenlicht auf dem Wasser und dass sie nun meint, die Stimmen derer zu hören, die auf den Schiffen ankamen …; die Kamera müsste ja nur heranzoomen, um uns auch das glauben lassen. Das macht Ahtilas Filme so verblüffend suggestiv, dass die Dramaturgie der inneren Bilder so sehr nach dem Drehbuch des technisch Machbaren geschnitten scheint.

KATRIN BETTINA MÜLLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen