documenta: Streit um die Giraffe
Schon wieder die documenta-Giraffe: Jetzt ist sie Anlass für einen Urheberstreit. Eine Künstlerin behauptet, es war ihre Idee, das ausgestopfte Tier auszustellen.
Nun, da sich auf dem Kasseler Friedrichsplatz die ersten Mohnblumen aus dem lehmigen Boden zum Regenhimmel recken, - dreißig wurden mit größter Gewissenhaftigkeit gezählt -, müssen selbst die Zweifler beschämt zugeben, dass die documenta 12 als "work in progress" verstanden werden will. Auch das gehört zu den Einsichten, die die Weltkunstschau den Kunstfreunden vermitteln will: dass sie keine Produktionsstätte ist, die Fertigprodukte fristgemäß zu liefern hat. Dass Zeit hier alles weniger ist als eine ökonomisch bestimmte Einheit. Denn nur der Mensch, der Zeit hat und sich spielerisch auf dem Feld der Kunst bewegt, ist wirklich frei. So oder so ähnlich äußerte sich jedenfalls Schiller. Und so oder ähnlich fasst diese documenta ihren Bildungsauftrag auf
Freilich werden die noblen Spielregeln gelegentlich von der groben Faktizität sehr weltlicher Dinge konterkariert. So kam es dieser Tage an einem unvorhergesehenen Nebenschauplatz, nämlich in einem Sitzungsraum des Kasseler Landgerichts, zu einem "Kunstgespräch" der anderen Art; zweifellos zu einer "kommunikativen Begegnung", die sich jedoch, anders als im Bildungsprogramm der documenta vorgesehen, auf Faktenwissen stützte, und zwar auf das der anwesenden Juristen, die in der Sache "Ayse Erkmen gegen Peter Friedl" ein salomonisches Urteil zu fällen hatten.
Es ging um die Giraffe "Brownie". Genauer gesagt, um das Recht der Urheberschaft an der Idee, "Brownie" in einem europäischen Museum auszustellen. Eine Idee, für die die türkische Künstlerin Ayse Erkmen das Erstgeburtsrecht reklamierte, habe sie doch schon im August 2004 den Plan verfolgt, das deutsche Publikum mit "Brownies" Schicksal bekannt zu machen. Aufgrund der politischen Lage habe sich das Projekt seinerzeit nicht verwirklichen lassen. Plötzlich aber begegne sie "Brownie" auf der Kasseler Documenta. Wie das denn zu verstehen sei, wenn nicht als "Ideenklau"?
Zwar war die ausgestopfte Kronzeugin der Anklage nicht vorgeladen, aber zumindest in der Industrie grenzt Ideenklau an Geheimnisverrat. Und in der Kunst? Frau Erkmens Versuch, per einstweilige Verfügung die Entfernung der inkriminierten Giraffe aus der documenta-Halle zu erreichen, gab das Kasseler Landgericht nicht statt. Nach einem Bericht der in Kassel erscheinenden Hessischen Allgemeinen sah das Gericht es vielmehr als erwiesen an, dass die in Berlin und Istanbul tätige Künstlerin nicht "über die bloße Idee" hinausgegangen sei.
Interessant ist die Argumentation. Denn im Wesentlichen konzentrierte sich die Verhandlung auf die Frage, ob die Giraffe (für die ein Streitwert von hunderttausend Euro angesetzt wurde), überhaupt als "urheberrechtlich schutzfähig" zu gelten habe. Eine Frage, die in verwickelte kulturgeschichtliche, wenn nicht religiöse Dimensionen führte, inklusive der bekannten Unschärfen solcher Debatten. Das Kasseler Landgericht befand schließlich, der Moment des Entwurfs, also die "geistige Transferleistung", die Giraffe aus dem Zoo der Stadt Qualquila (Westjordanland) herauszulösen und in Kassel auszustellen, genieße keinen Urheberrechtsschutz. Prominente Unterstützung fand die urteilende Instanz bei dem Berliner Rechtsanwalt Peter Raue, den die documenta GmbH als Verteidiger berufen hatte. Ideen könne man nicht schützen, so dessen Plädoyer. Möglicherweise sei "Brownie" jetzt Kunst, rechtlich aber handele es sich um ein "Mahnmal für die geschundene Kreatur". Jeder Künstler könne woanders diese Idee erneut verwirklichen. Dann sei er zwar ein Epigone, aber das sei nicht verboten. Trotzdem könnte der Streitfall vor dem Oberlandesgericht seine Fortsetzung finden.
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