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Archiv-Artikel

dieter baumann über Laufen Oh, diese Radfahrer!

Aus Spaß 400 Kilometer die Woche radeln? Das gibt’s echt

„Ich mache nie Wettkämpfe“, sagte der Rennradfahrer knapp. Ich traf ihn, als ich selbst trainierte – nicht laufend, sondern ebenfalls auf dem Fahrad, da meine Adduktoren im Moment nur behutsame Laufschritte zulassen. Der Radler war mir schon von weitem durch seine schlichten Klamotten positiv aufgefallen. Kein gelbes oder gepunktetes Trikot, kein Telekom- oder Coast-Imitat. Und dennoch fuhr er rasend schnell.

Es war also ganz schön anstrengend, ihn einzuholen. Aufgrund seines hohen Tempos musste ich ins „große Blatt“ schalten, wie die Radfahrer sagen, und ernorm in die Pedale treten. Der Wind blies mir ins Gesicht, mein Puls stieg in ungewohnte Höhen, aber nach fünf anstrengenden Minuten schloss ich zu ihm auf. „Heute fahre ich eine lange Tour“, anwortete er locker auf meine Frage, wohin und wie lange er fahren werde. Klar, heute war Sonntag – und was für einer: Die Sonne lachte, angenehme 16 Grad, Frühlingsluft.

Das Wetter musste man ausnutzen, da waren wir uns beide einig. Schnell einig wurden wir uns auch bei der gemeinsamen Route: 100 Kilometer, das Neckartal entlang durch Rottenburg bis Horb und dann weiter in den Schwarzwald hinein Richtung Sulz am Neckar. Wir fuhren wie zwei seit langem vertraute Trainingspartner nebeneinander her. Er war zwar nicht übermäßig groß und gehörte wie ich zu der „Unter 70 Kilo“-Gewichtsklasse. Doch sein Tritt war leicht, seine Gesichtszüge wirkten trotz Gegenwind unangestrengt.

„Ich fahre so drei- bis viermal pro Woche. Meistens einen Hunderter.“ Mir blieb fast die Spucke weg. Viermal einhundert Kilometer in der Woche. Wahnsinn, dachte ich. Meine Frage, ob er für Wettkämpfe trainiere, war da doch nahe liegend. „Nein, nein. Ich mache das nur zur Fitness, für mich, zum Spaß.“ Die Antwort klang so überzeugend, dass ich nicht weiter zu fragen brauchte. Diese Haltung kenne ich auch aus der Laufszene: Wettkämpfe, sich mit anderen oder auch mit seiner eigenen Leistung messen ist heutzutage unpopulär.

Wir fuhren auf gut ausgebauten Radwegen direkt am Neckar entlang, es war einfach traumhaft. Kein Wunder, dass uns viele Radler begegneten. Teils einzelne Fahrer, häufiger ganze Gruppen, ein Rennstall sozusagen. Ganz offensichtlich war die Strecke ein Klassiker unter den Radlern.

Das erinnerte mich an die Laufszene. Auch bei uns gibt es überall klassische Treffpunkte und Rundstrecken, auf denen man immer – Tag und Nacht – Läufer antrifft. So scheint es auch bei den Radlern zu sein. Die Strecke ist ideal, da waren mein Trainingskollege und ich einer Meinung. Mir ging es hauptsächlich darum, auf dieser flachen Runde meine Basis, die Ausdauer, zu trainieren. Genau wie er fuhr auch ich nun nicht mehr im hohen Gang auf Kraft, sondern im „kleinen Blatt“ mit hoher Frequenz.

Ich war froh, gerade diesen Gesinnungsgenossen gefunden zu haben. Als verletzter Läufer bringt mir Kraftbolzerei ohnehin nichts. Um nicht zu sagen: Ich habe gar keine Kraft, mit der ich bolzen könnte. Lieber fahre ich mit hohem Puls, das kann ich ewig. Nun ja, fast. Die Monate Februar und März sind auch für die Radler wichtig, ihre Grundlage zu verbessern, klärte mich der Fachmann auf. Erst in einigen Wochen geht es in die Berge, um diesen lockeren Tritt in Kraft und damit in Geschwindigkeit umzusetzen.

In die Berge?, fragte ich. Mein Interesse war geweckt, da ich, um meine Tempoläufe zu simulieren, auch einige Bergsprints absolviert hatte. Er kam ins Erzählen, über ideale Bergstrecken in unserer Gegend, egal ob kurz und steil oder leicht steigend und dafür länger. Es gab eben für alle Neigungen die richtigen Steigungen.

Mir riet er sogar zu einer „Bergpendelstrecke“: in Obernau das Neckartal hinauf, um nach fünf Minuten, oben angelangt, wieder kehrtzumachen. Die Abfahrt ins Tal ist die Belastungspause, um dann nach drei Minuten hartem Flachstück, also im „großen Blatt“, bei Niedernau auf der anderen Neckartalseite wieder den Berg in Angriff zu nehmen. „Das kannst du natürlich nicht lange machen. Da bist du nach eineinhalb Stunden kaputt.“ Ich konnte bei diesen Ausführungen nur noch nicken, denn ich war schon jetzt auf diesem Flachstück kaputt.

Mittlerweile strampelte ich bloß noch am Hinterrad meines Partners, den Windschatten ausnutzend. „Bei unserer Gewichtsklasse haben wir gegenüber anderen Fahrer einen echten Vorteil“, redete er sich dagegen fröhlich in Fahrt.

„Und weißt du, was echt geil ist?“, fragte er mich. „Wenn du im Frühjahr bei einem dieser Alpenradrundfahrten an dreißig, vierzig Franzosen vorbeifliegst. Das ist echt geil.“ Ja, ja, ich wusste schon, was er meinte. Ich würde allerdings „Wettkämpfe“ dazu sagen.

Fragen zum Radeln? kolumne@taz.de