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die wahrheitEin großer Schritt für die Wahrheit

Kein Gepäck, unterschreiben Sie hier: taz-Autor wird terrestrischer Mars-Astronaut.

Auch während eines Problems ist die Unterhaltung mit dem betreuenden Personal streng verboten Bild: ap

Das Plakat traf mich wie ein Schlag, dabei hing es ganz friedlich am Uni-Anschlagbrett: "ESA sucht Mars-Pioniere. Werden Sie einer von 24 terrestrischen Mars-Astronauten!" Urplötzlich fühlte ich mich ins Jahr 1969 zurückversetzt und spielte wieder fünfjährig im Wohnzimmer mit den ausgeschnittenen und auf Karton geklebten Fotos von Mond, Landefähre und Raumkapsel aus der Illustrierten. Astronaut wollte ich schon immer werden! Und jetzt zum Mars, als Mitglied der terrestrischen Crew. Dass es folglich schon Kontakte zu außerirdischen Zivilisationen gegeben hatte, war mir neu. Aber bei den Gesichtern, die man täglich so sah, schien es wirklich nicht mehr so genau zu sagen. Woher würden wohl die extraterrestrischen Mars-Astronauten kommen?

Professor Flexberg, einer der führenden terrestrischen ESA-Mediziner auf dem Campus Benjamin-Franklin, wo die Mars-Pioniere vorbereitet werden, lachte: "Etwas unglücklich formuliert, das gebe ich zu. Gemeint ist: Mars-Astronauten, die nicht fliegen." Ich verstand ihn erst falsch und fragte, wie man Mars-Astronaut werden könnte, ohne auf den Mars zu fliegen? "Eine Art Bodentruppe." Jetzt verstand ich. Man unterschied zwischen Marsionauten, die auf dem Marsboden operierten, und solchen, die im Mars-Orbit oder in der äußerst dünnen Mars-Atmosphäre herumschwirrten. "Jetzt wollen wir erst einmal sehen, ob Sie überhaupt theoretisch geeignet sind, dann können wir uns ja weiter über spirituelle Fragen unterhalten." Der Spirit verließ mich etwas. "Die körperliche Eignung haben Sie, das sehe ich sofort: Leichtathlet, was? Nichtraucher, kein Alkohol? Idealer Proband!" Das wurde noch ausführlich getestet. Ich lernte bei der Gelegenheit auch meine wortkargen Mitbewerber kennen. Nach drei Tagen Blutprobe, Belastungs-EKG, Tomographie, Seh- und Schleudertest war Flexberg mit uns äußerst zufrieden.

Die Theorieprüfung konnte beginnen. Mars oder nicht Mars, das war hier die Frage. Ich war gewillt, mein Bestes zu geben, um ins Team zu kommen. Flexberg schlug die Kladde auf seinen Knien auf und begann die Liste durchzugehen: "Sind Sie in psychiatrischer Behandlung?" "Na hören Sie mal ", antwortete ich so entrüstet wie möglich. "Sind Sie Mitglied einer Religionsgemeinschaft?" - "Einer terrestrischen, meinen Sie?" Flexberg verließ die gute Laune. "Sind Sie verheiratet?" - "I, Gott bewahre!" Er wurde misstrauisch: "Was soll das heißen: Gott? Sagten Sie nicht eben und was ist das für ein Ring?" Ich schwitzte Blut und Wasser. "Das mit Gott war doch nur so ne Redensart. Den Ehering trage ich schon immer, aus Jux." - "Sind ledig? Also nicht teamfähig?", bläffte er, doch ich ließ mich nicht beeindrucken. "Aber ja doch! Teamfähig! Was sonst?"

Flexberg klappte seine Kladde zu und nickte anerkennend. "Diesen theoretischen Krempel hasse ich wie die Pest. Lassen Sie uns lieber das Praktische besprechen: Am Montag fliegt die erste Staffel los, sozusagen. Gepäck brauchen Sie keins, Ausrüstung kriegen Sie von uns. Unterschreiben Sie hier. 8.000 Euro pauschal für sechs Wochen Liegen, Duschen, Essen, Ausscheiden in Schwerelosigkeit; zwei Jahre Nachbehandlung. Keine Bücher, aber Internetzugang. Bordcomputer wird gestellt. Keine Damenbesuche. Überhaupt keine Besuche. Die Kapsel wird videoüberwacht." Wir lachten befreit.

Dass es so schnell gehen würde, hatte ich nicht gedacht. Am Wochenende schlief ich schlecht. Ich hatte ganz vergessen, Flexberg zu fragen, wie lange der Flug zum Startgelände dauern würde. Im Internet war von der aktuellen europäischen Mars-Mission gar nichts zu lesen, stattdessen nur von einer im Jahre 2030. Die zwei Jahre Nachbehandlung spukten in meinem Kopf herum. Sicher wegen möglicher Strahlenschäden. Der Bus, der uns zum Flughafen bringen sollte, hatte offenbar Verspätung. Das fing ja gut an. Die anderen Mars-Pioniere wirkten auch nicht gerade sehr motiviert, als wir in einer tristen Holzbaracke eingekleidet wurden und uns T-Shirts der Berliner Humboldt-Uni überstreiften. "Ich zeige Ihnen jetzt Ihre beiden Dreierzimmer!" Eine hübsche Krankenschwester hatte dies verkündet. "Das muss ja ein Riesenraumschiff sein", flüsterte mein Nachbar. Ich war irritiert: "Wir starten in Berlin?"

Die Schwester schnallte uns alle an unseren Betten fest, in 6 Grad Kopftieflage, auf dem Bauch. "So lässt sich die Schwerelosigkeit am besten simulieren", flötete sie. "Simulieren?", fragte ich erstaunt. "Ich bin Mars-Astronaut. Was heißt hier simulieren?" Sie lächelte nichts sagend. "Und jetzt bitte die Extremitäten nicht mehr bewegen! Die Videokamera zeichnet alles auf. Wenn Sie sich bewegen, kann das Einfluss auf die Studie und äh auf Ihr Honorar haben."

Man sollte immer das Kleingedruckte in Verträgen lesen. Nach ungezählten Ultraschalluntersuchungen, mehreren Tomographien und Muskelbiopsien hab ich es jetzt begriffen. Es geht gar kein Bus zum Startgelände. An mir wird getestet, rein terrestrisch, wie in sechs Wochen Bettruhe und Isolationshaft meine Muskeln und mein Humor schwinden. Drei von uns trainieren an einer Art Rüttelgenerator, drei trainieren nicht.

Ich hab es gut getroffen und darf in Bewegungslosigkeit degenerieren. Bis 2030 ist es noch lange hin. Wer weiß, ob es die marsianische Marsmission jemals geben wird. Die terrestrische zumindest gibt es. Und ich werde sagen können: Ich bin nahe daran gewesen, zu verwesen. In 6 Grad Kopftieflage, Bauchlage, Bewegungen verboten. Im Kopf 8.000 Euro, die gestaffelt ausgezahlt werden - im Überlebensfall. Nach zirka fünfzig unabsichtlichen Bewegungen bin ich bei 7.589. Das ist gar nicht so schlecht, meint Flexberg. Es habe auch schon Probanden gegeben, die seien völlig mit null rausgegangen. Buchstäblich Haut und Knochen.

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