die wahrheit: "Es darf keine Tabus geben!"
Ein offenes Wahrheit-Interview mit Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble
taz: Herr Schäuble, Sie haben vorgeschlagen, als Terroristen verdächtigte Personen auf offener Straße erschießen zu lassen. Auch Verdächtige im Rollstuhl?
Wolfgang Schäuble: Natürlich! Es darf keine Denkverbote geben. Wir müssen alles aussprechen dürfen, was dem Kampf gegen den Terror zweckdienlich ist.
Dann dürfen also Rollstuhlfahrer auch in Unterbindungsgewahrsam genommen oder vorbeugend in Sammellager eingewiesen werden?
Natürlich. Wir müssen aber darauf achten, dass die Lager behindertengerecht eingerichtet sind. Dass es zum Beispiel keine Stufen auf dem Weg zu den Vernehmungsräumen im Keller gibt.
Apropos Vernehmung. Darf man auch bei der Vernehmung von Rollstuhlfahrern Zwang anwenden, um an Erkenntnisse zu gelangen, die im Kampf gegen den Terror Menschen davor bewahren können, in die Luft gesprengt oder in Hochhäuser gerammt zu werden?
Zwang ist, um an dieser Stelle ein weitverbreitetes Missverständnis auszuräumen, nicht gleich Folter! Zwang ist vom Grundgesetz nicht untersagt. Auch in der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen ist nur von Folter die Rede, nicht von Zwang.
Sind dann Witze auf Kosten von Rollstuhlfahrern erlaubt?
Wenn es geeignet erscheint, einen Rollstuhlfahrer unter Druck zu setzen und ihn, um nicht länger die Zielscheibe der allgemeinen Lustigkeit abzugeben, zu einer Aussage zu veranlassen: Ja. Wenn die Witze gut sind! Viel wichtiger aber sind andere Fragen: Wie ist es beispielsweise, wenn der Vernehmungsbeamte den Rollstuhlfahrer aus Versehen umkippt? Ist es verboten, einem Querschnittgelähmten gegen das Schienbein zu treten - selbst wenn er dort vielleicht gar keine Schmerzempfindungen mehr hat? Darf ich einem verdächtigen Rollstuhlfahrer damit drohen, die Wirbelsäule noch weiter oben durchzusägen, wenn ich damit Menschenleben rette? Nun, ich sage nicht, dass das schön ist oder dass es einmal nötig sein wird, im Kampf gegen den Terror des internationalen Terrorismus auf derlei Mittel zuzugreifen. Aber es muss erlaubt sein, darüber nachzudenken! Es geht mir darum, eine öffentliche Diskussion zu führen.
Nun behaupten manche Kritiker, mit Ihren Vorhaben gefährdeten Sie den Rechtsstaat.
Nein, ich habe nur Ideen, ich mache nur Vorschläge. Aber dabei darf es keine Tabus geben! Auch Prominente stehen nicht unter Naturschutz. Stellen Sie sich vor, ich befinde mich in einem Flugzeug, das von Terroristen entführt wird. Das darf man dann natürlich abschießen!
Ja, das würde in der Tat wenigstens irgendein schönes Hochhaus retten.
Höre ich da Kritik heraus? Ich bitte, mich nicht falsch zu verstehen: Ich mache die Gesetze nicht, sondern möchte lediglich, dass man über diese Dinge nachdenkt! Auch darüber, wie man mit bestimmten kritischen Journalisten umgehen sollte!
Und mit einigen Politikern?
Gewiss! Jeder Bürger steht naturgemäß unter Verdacht. Die Unschuldsvermutung gilt nur im Strafprozess! Das gilt auch für Personen in hohen Ämtern.
Aber werden Sie, selbst wenn Sie alle Bürger Deutschlands überwachen, absolute Sicherheit gewährleisten können?
Absolute Sicherheit kann es nicht geben, da unsere Gefängnisse nicht für 82 Millionen Gefangene angelegt sind. Die USA sind da schon sehr viel weiter als wir, und überhaupt müssen wir uns im Kampf gegen den Terror an ihnen ein Beispiel nehmen.
Um das mal zusammenzufassen: Dann wäre es also denkbar, dass man eines Tages den Bundesinnenminister ohne Anklage in einem deutschen Guantanamo festhält, die Bundesjustizministerin unter Dauerlärmbeschallung vierzehn Stunden in einer unnatürlichen Körperhaltung zu stehen zwingt, die Bundeskanzlerin an einer Hundeleine durchs Gefängnis führt und den Bundespräsidenten nackt auf einen Haufen unbekleideter Regierungsmitglieder wirft? Vor allem, wenn man so etwas dann auch noch fotografiert!
Jetzt gehen Sie entschieden zu weit. Die Fotos könnten doch in die Öffentlichkeit gelangen!
Aber das sind doch bloß Denkanstöße, Herr Schäuble. Die öffentliche Diskussion muss erlaubt sein. Es darf keine Tabus geben! Schon gar nicht, wenn es um Fotos geht!
Tabus darf es vor allem nicht im Kampf gegen den Terror geben. Unsere Freiheit ist rund um die Uhr bedroht, das können Sie gerade mir glauben! Die klassische Unterscheidung von Krieg und Frieden, wie sie noch unter Hitler galt, gilt heute nicht mehr.
Und die klassische Unterscheidung von Recht und Unrecht, Herr Schäuble?
Recht ist, was dem Kampf gegen den Terrorismus nützt. Sie sind da von geringem Nutzen. (Schäuble erhebt sich plötzlich aus seinem Rollstuhl und holt aus einer Falte in der Seitenlehne eine Maschinenpistole hervor) Das ist jetzt nur eine Idee! Ich will Ihnen mal ganz ohne Tabus
Wir danken Ihnen für das
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!