die wahrheit: Verständnis für die Sachsen
Schon ein einziges unbedachtes Wort kann in der gebeutelten Region Gefühle verletzen
Man kann mit diesem sensiblen Thema ja gar nicht sensibel genug umgehen. Wie schnell verletzt man durch ein einziges unbedachtes Wort die Gefühle vieler Menschen. Bisher besteht kaum ein Grund, den für die Einschätzung der Vorfälle im sächsischen Mügeln Verantwortlichen einen Vorwurf zu machen.
Vorsichtig, so behutsam wie möglich, nähern sich die offiziellen Leisesprecher dem Problem. Fast zärtlich treten sie dem Gedanken nahe, dass die Hetzjagd auf acht Inder möglicherweise einen ausländerfeindlichen Hintergrund gehabt haben könnte. Die Zurückhaltung ist berechtigt. Ja, es seien Naziparolen gegrölt worden; sicher, die Inder seien von einem aggressiven Mob durch das beschauliche Örtchen gejagt worden; selbstverständlich dürfe man aber daraus nicht den Schluss ziehen, die nur zuschauende, also unbeteiligte Mehrheit der zuschauenden Bürger sei damit einverstanden gewesen, schließlich habe sie nur zugeschaut.
Man muss Verständnis dafür haben, dass die Sachsen es leid sind, ständig im Mittelpunkt negativer Berichterstattung zu stehen. Zu oft haben sie schon vor dem Mügelner Ereignis unter der Verfolgung von Ausländern gelitten. Allein in diesem Jahr haben sich zwei libanesische Asylbewerber, ein indischer und ein amerikanischer Student, ein türkischer Imbissbudenbesitzer, ein Ehepaar aus Kamerun, ein Tunesier und ein Pakistani von Nazideutschen krankenhausreif schlagen lassen. Daraus erwächst ein riesiges Imageproblem mit unabsehbaren Folgen für die ohnehin strukturschwache Region. Die Ausländer können wahrscheinlich gar nicht ermessen, was sie den Sachsen und darüber hinaus den Deutschen mit ihrer unverantwortlichen Verfolgungsbereitschaft antun. Sie beschädigen das Ansehen des Landes, sie schwächen die Wirtschaftskraft, und das ausgerechnet vor dem Hintergrund des eklatanten Fachkräftemangels, unter dem Deutschland doch so massiv leidet.
Wenn sich daran nicht bald etwas ändert, wird den staatlichen Stellen wirklich nichts anderes mehr übrig bleiben, als den Zuzug von arbeitswilligen Ausländern ganz zu unterbinden. Wirtschaftsminister Glos hat sich ja bereits dahingehend geäußert. Man sei zwar auf fremdes Fachpersonal angewiesen, aber was zu viel sei, sei zu viel. Bestimmt hat er sich dazu auch nochmal mit seinem Landsmann Oskar Lafontaine abgestimmt. Die Reihen gehören parteiübergreifend fest geschlossen, das Fremdarbeiterproblem darf nicht zu einer nationalen Identitätskrise führen.
Man kann mit diesem sensiblen Thema einfach nicht sensibel genug umgehen. Deswegen möchte ich auch so vorsichtig wie möglich, ohne Ihre Gefühle zu verletzen, abschließend nur noch das hier sagen: Wer meint, zwischen der gewalttätigen Verfolgung von Ausländern durch Nazischläger und der ausländerabwehrenden Staatspolitik bestehe kein Zusammenhang, der soll sich einfach weiter dumm stellen. FRITZ ECKENGA
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