die wahrheit: Des Schicksals schale Späße
"Wie wärs mit nächsten Dienstag?" - "Warte Ja, das passt! Im Café Gum, wie früher?" - "Gerne! Halb neun?" - "Geht klar, ich freu mich!" - "Dito! Tschüss!" Seit Monaten führten Rafael und ich solche Telefonate, um endlich mal wieder gemeinschaftlich ein paar Biertulpen leer trinken zu gehen - doch stets kam irgendwas dazwischen.
"Wie wärs mit nächsten Dienstag?" - "Warte ... Ja, das passt! Im Café Gum, wie früher?" - "Gerne! Halb neun?" - "Geht klar, ich freu mich!" - "Dito! Tschüss!"
Seit Monaten führten Rafael und ich solche Telefonate, um endlich mal wieder gemeinschaftlich ein paar Biertulpen leer trinken zu gehen - doch stets kam irgendwas dazwischen.
Beim ersten Mal rief Rafi am Abend vorher an. "Aus unserem Treffen wird nichts, leider", sagte er: "Ich muss morgen auf Dienstreise, ins Emsland. Irgendein Knalldackel hat die Programmierung der Anlage dort zerhauen. Jedenfalls spucken die Maschinen nur noch kleine dadaistische Knubbel aus." Rafi arbeitet als Steuerungsexperte bei einer Firma, die an verschiedenen Standorten Zahnpastatubendeckel, Kugelschreiberhülsen und andere wichtige Dinge aus Kunststoff herstellt und logischerweise nicht sehr amüsiert ist, wenn eins ihrer Werke nur noch dadaistische Knubbel fabriziert. "Schade, aber nicht zu ändern", sagte ich, "ruf einfach an, wenn du wieder da bist."
Er kam zurück, rief an, und wir verabredeten einen neuen Termin. Zugleich schwappte die Grippewelle in unsere Stadt, und diesmal war ich es, der - "Ärgk ... Öche ... Krächz ..." - absagen musste. Als ich wieder gesund war, verhinderte ein Wasserrohrbruch in Rafis Wohnung ein Treffen im letzten Moment, und unser nächstes Telefonat wurde jäh unterbrochen, weil ein Blitz in den Telefonverteilerkasten an der Hauptstraße einschlug. "Ein Blitz! Um diese Jahreszeit!", sagte ich: "Wer weiß, vielleicht hat die Schicksalsverwaltung einfach was dagegen, dass wir uns treffen!" - "Quatsch!", brummte Rafi. "Das sagst du so! Und wenn der nächste Blitz einen von uns trifft?" - "Quatsch!", brummte Rafi, und wir machten einen neuen Termin.
Der Tag unseres Treffens kam. Ich wartete darauf, dass ich die Symptome einer akuten Blinddarmentzündung bekäme oder mindestens die Gasheizung im Keller explodierte. Aber nichts dergleichen geschah. Ich zog meine Jacke an, trat vor die Tür und linste zum Himmel. Doch er wackelte nicht, fiel mir nicht auf den Kopf, und erstaunlicherweise wurde ich auf dem Weg ins Gum auch nicht von einem umstürzenden Baukran erschlagen. Dafür war Rafi noch nicht da. Eine Viertelstunde verging, zwanzig, dreißig Minuten. "Das musste ja schiefgehen!", flüsterte ich und malte mir aus, wie Rafi briefmarkenplatt unter einem umgestürzten Baukran läge oder infolge einer Gasexplosion durch den Nachthimmel flöge. Nach einer Dreiviertelstunde rief ich bei ihm an, doch er nahm nicht ab. Ich machte mir Vorwürfe, verfluchte die Schicksalsverwaltung - da kam er plötzlich herein. Heil und unverletzt! "O Mann, du lebst ja noch!", stöhnte ich. "Na klar", erwiderte er: "Warum auch nicht?" - "Weil", sagte ich, "du eine Stunde zu spät kommst!" - "Ich? Blödsinn! Ich bin absolut pünktlich!" - "Pünktlich? Wir hatten acht Uhr vereinbart!" - "Acht? Du spinnst ja!" - "Ich spinne kein bisschen!" - "Aber sicher, ich ..."
Es dauerte knapp zwei Minuten, bis Rafi das Gum wieder verließ und wutentbrannt von dannen stapfte. Seitdem haben wir nicht mehr miteinander gesprochen. Es ist wohl das Ende einer wunderbaren Freundschaft.
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