die wahrheit: Sabbernde Zausel

Das Hauptübel unserer Zeit: männliche Mittvierziger ohne Migrationshintergrund.

Typischer Mittvierziger nach Besuch seines liebsten Aufenthaltsorts, der schummrigen Kaschemme. Bild: ap

Auf Jugendliche und Alte kann man sich wenigstens verlassen: Die einen missachten in der S-Bahn konsequent das Rauchverbot, die anderen weisen sie zurecht. Mittvierziger hingegen sind völlig unberechenbar. Mit oder ohne Zigarette im Mund pöbeln sie in gewohnt besserwisserischer Manier Jugendliche und Rentner an, ob diese rauchen oder nicht: Es geht wie immer ausschließlich ums Prinzip - welches das allerdings sein soll, wissen sie selbst nicht. Das Ganze nennen sie dann "locker, selbsterfahren und mit sich rundum im Reinen", dabei handelt es sich bloß um boshafte Ausbrüche aus dem eigenen Gescheitertsein, befeuert von einer aggressiv uneinsichtigen Spielart von Alkoholismus.

In seinem selbstgerechten Starrsinn versucht sich der Mittvierziger an der Quadratur des Kreises: Er will die Weisheit mit Löffeln gefressen haben und noch jung sein in einem, dabei trifft keins von beidem zu. Unterschwellig mischt sich die Trauer um den Verlust von Jugend, Potenz und Neugier mit dem Frust, wie lang es doch noch zur Verrentung dauert - der offiziellen äußeren, die innere hat er längst erreicht.

In ihrer ehemaligen Studentenkneipe hecken die Mittvierziger an klobigen Holztischen aus, wie sie allen anderen auf die Nerven gehen können. Nur mit Hilfe der parallel mitalternden Klientel hat die verrauchte Kaschemme überlebt. Das Licht ist so schummrig, dass keiner vom Anblick des jeweils anderen an sein düsteres Schicksal erinnert wird, das schlicht in der eigenen Existenz besteht. Nur der zunehmende Geruch nach langsamem Zerfall gemahnt unerbittlich an die Vergänglichkeit von Raum und Zeit und "Mensch", wenn man den euphemistischen Sammelbegriff auf den Mittvierziger überhaupt anwenden möchte.

Kein Stuhl wurde hier in den vergangenen 25 Jahren umgestellt - so haben sie es am liebsten, obwohl sie stets betonen, sie seien weltoffen und tolerant. Sie sind nichts dergleichen. In Endlosschleifen labern sie einander voll, was für tolle Scheiben sie bei Ebay gehandelt haben. Oder erzählen hornalte Hippie-Schoten, die so langweilig sind, dass sie noch vor Verlassen des Mundes vom Sprecher selbst vergessen werden. Eine Art breiige Bräsigkeit verkleistert die gesamte Atmosphäre. In einem fort versichern sie einander, in welch wunderbarem Alter sie sich doch befinden, und merken gar nicht, dass sie nun schon seit einer Stunde Krankengeschichten berichten - die ersten Freunde sind bereits gestorben: Lunge, Leber, Regionalexpress.

Verirren sich einmal versehentlich junge Leute herein, starren die Mittvierziger sie ungeniert an. Die Mixtur aus spöttischer Arroganz und verzweifelter Sehnsucht macht ihre verbrauchten Visagen noch hässlicher, als sie ohnehin schon sind. Vieles entgleitet ihnen inzwischen; vegetative Funktionsstörungen häufen sich: Sie lassen dem Mittvierziger beim Anblick des eintretenden Mädchens selbstvergessen den Speichel ins Bierglas tropfen und gaukeln seinem zauseligen Hirn unter den angegrauten wirren Strähnen das wahnhaft verzerrte Selbstbild eines attraktiven Mannes im besten Alter vor.

Lassen wir an dieser Stelle die Betroffene Lara B., 27, zu Wort kommen: "Wir wollten vor der Vernissage von dem New Yorker Acidpupsperformer nur mal schnell auf eine Flavoured Latte Bionade mit Red Bull Mate Wodka in diese Kreuzberger Kneipe rein und sehen drinnen erst, dass das wohl so eine Art Aufwärmstube für Obdachlose ist. Ich hör meinen Freund noch flüstern 'Lass uns sofort hier verschwinden', da glotzt mir schon so ein Penner völlig undefinierbaren Alters vollrohr auf die Titten. Und dann quatscht er mich auch noch mit 'Hallo, Süße' an, wobei ihm fast die antiken Kronen aus dem Maul fallen. Was für ein widerwärtiger alter Bock!"

Während junge Leute in Wohngemeinschaften leben und Alte im Altersheim, wohnen die Mittvierziger allein. Angeblich ihres ach so unabhängigen Charakters wegen, dabei kann sie einfach keiner mehr ertragen, noch nicht mal ihresgleichen geschweige denn sie sich selbst. So schaukelt sich nahezu ungehindert ein explosives Gemisch aus Langeweile, Nutzlosigkeit und Dogmatismus hoch, das mittelfristig das gesamte Land lahmzulegen und das gesellschaftliche Klima zu vergiften droht.

Zum Glück hat die Politik das Gefahrenpotenzial erkannt und beginnt aktiv gegenzusteuern: So sind erste Sanktionen im Gespräch, wie die Beschlagnahmung riesiger verstaubter Berge psychedelischer Vinylplatten, um die Mittvierziger ruhig zu stellen, Massenabschiebungen nach La Gomera oder Lüchow-Dannenberg sowie die Errichtung von Umerziehungslagern, in denen klobige Holztische, Bier und Selbstgedrehte verboten sind. Doch leider scheitert die Durchsetzung dieser erfolgversprechenden Maßnahmen bislang vor allem am Widerstand der Grünen. Kein Wunder, sind die doch gefühlte 45 Jahre alt.

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kari

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