die wahrheit: Deutschland ganzjährlich im Bratwurstfieber
Jede Wette: Würde seinem Unbewussten bewusst, worauf sich Herr Karoff einlässt, es würde nichts dagegen unternehmen, würde Gleichgültigkeit vortäuschen. Warten wirs ab.
Wie dem auch sei, Herr Karoff fasst das, was ihm im Alltag begegnet und widerfährt, was er tut und bleiben lässt, insgesamt als romantisches Abenteuer auf. Einerseits. Auf der anderen Seite empfindet er seine Lebensform als metaphysische Unbehaustheit, was auch immer er darunter verstehen mag. Drittens hat er kürzlich erfahren, dass im Grimmschen Wörterbuch, dessen erster Band 1852 erschien, das Substantiv "Alltag" nicht verzeichnet ist, sondern lediglich die "Alltäglichkeit" und Kompositionen wie "Alltagsgeschwätz".
Bevor wir auf zwei mehr oder minder alltägliche Februarsonntage im Jahre 2008 zu sprechen kommen, sei eine weitere Abschweifung gestattet. Eines strahlenden Sommertages erlebte Herr Karoff in jugendlichem Alter an einem Baggersee zahllose an Bratrosten tätige Mitbürger, sah auf nahezu jedem Quadratzentimeter entsprechende Rauchsäulen gen Himmel ranken und formulierte so plakativ wie spöttisch: "Deutschland grillt im Bratwurstfieber". Vage überlegte der Hochmütige, gleichsam Copyright für die Zeile zu beantragen, als Titel einer Reportage, einer Novelle oder dergleichen. Daraus wurde nichts, wie das manchmal so ist.
Kürzlich schleicht sich der Satz Herrn Karoff in den Sinn, als er eines strahlenden Februarsonntags aufs Rad steigt, um Freunde zu besuchen, die auf einem Bauernhof wohnen. Im Garten wird gegrillt, ökologisch einwandfreie Bratwürstchen obendrein und obendrauf. "Mitten im Winter!", denkt Herr Karoff verwundert und verzehrt durchaus mit behaglichem Genuss zwei auf den Punkt gegrillte Exemplare. "Es schreit buchstäblich zum Himmel, die Welt ist aus den Fugen", denkt er, "an solchen Nebenschauplätzen kann man es diagnostizieren." Schließlich ergänzt er wagemutig seine Schlagzeile: "Deutschland grillt inzwischen ganzjährlich im Bratwurstfieber."
Am nächsten Februarsonntag, die Sonne strahlt wie nur was, bricht Karoff, der Abstraktionsakrobat und Plötzlichkeitsfetischist, wie ich ihn behelfsmäßig nenne, unvermutet in eine leidlich entfernte Ferne auf, ins Badische genauer gesagt. Auf dem Schauinsland, einem Bergrücken im südlichen Schwarzwald, fällt sein Blick auf einen Wegweiser: "Notschrei", soundsoviel Kilometer. Wie sich herausstellt, ist Notschrei der Name eines Verbindungspasses zwischen Oberried und Todtnau. Ein Salonfeuilletonist hätte unwillkürlich an Nietzsche gedacht, nein, vielmehr an Heidegger, der in Todtnau gewohnt hat. Das bleibt Herrn Karoff erspart. Stattdessen wird er sogleich erfahren, dass irgendwo in der Nähe das Höllental eingeschnitten ist. Und er wird erfahren, dass die Belastung durch den Fernverkehr auf der B 31 dem Höllental einiges zumutet. Dass aber die Höllentalbahn in Himmelreich anhält, einem Ortsteil von Buchenbach.
Herr Karoff ist gewiss nicht der Erste, sondern Millionste vermutlich, der ein oder zwei Scherze zur geografischen Nachbarschaft austüftelt. Sein Unbewusstes kichert vor Vergnügen, schweigt jedoch still. Wette gewonnen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!