die wahrheit: der homosexuelle mann
… zeugt keine Kinder. Nichts von ihm lebt weiter, wenn er mal nicht mehr ist, nicht sein Name, nicht sein Fleisch, nicht sein Blut.
… zeugt keine Kinder. Nichts von ihm lebt weiter, wenn er mal nicht mehr ist, nicht sein Name, nicht sein Fleisch, nicht sein Blut. Der homosexuelle Mann aber ist helle und pflanzt sich fort auf eigene Art: der homosexuelle Mann sammelt. Irgendwas. Was Ausgefallenes. Etwas, das seine Nachwelt in Staunen versetzt.
Die bekanntesten homosexuellen Sammler sind die Kunstsammler, die mit der größtmöglichen Sicherheit, dass ihr Name noch einen Klang hat Generationen später. Deshalb dürfen wir jetzt keine Namen nennen, sonst hagelt es Klagen. Schließlich, so meinen sie und liegen gänzlich falsch damit, habe ihre Bilderleidenschaft nichts mit ihrer Leibesleidenschaft zu tun.
Ganz anders die gar nicht Prominenten, denen es egal ist, ob man das eine mit dem anderen verknüpft. Hauptsache, ihre Sammlung erstrahlt im besten Licht. Wie Albert. Albert sammelt - und gehört damit zur größten Ansammlung homosexueller Sammler - das Gesamtwerk einer großen Diseuse. Er hortet alles, aber auch wirklich alles, was der große Teenie-Star der Sechzigerjahre, Manuela, hinterlassen hat. Platten, Bilder, Interviews, Kleider, sogar ein paar von ihr sorgfältig geleerte Wodkaflaschen. Alberts Wohnung gleicht einer Manuela-Gruft, zum Gruseln schön, eine Pein für alle, die so was nicht mögen.
Der homosexuelle Mann mag keine wirkliche Frau an seiner Seite, viel lieber stellt er sie im gebührenden Sicherheitsabstand auf einen Sockel und betet sie an auf Distanz. Deshalb sammeln so unglaublich viele schwule Männer alles von ihren geliebten Frauen: Barbra Streisand, Lieselotte Malkowski, Nina Hagen, Edith Piaf, Zarah Leander … die Liste ist endlos. Hauptsache, die Frauen sind aufmüpfig und unangepasst, ganz stark im Unglück und mit großer Geste auf jeder Bühne.
Auch Klaus widmet sich dem weiblichen Geschlecht, er sammelt Mädchenbücher der Fünfzigerjahre. Bücher mit so verheißungsvollen Titeln wie "Hilde und der Fünferbund" oder "Renates erster Flug", "Helga und ihre Freundinnen", "Christa und der Pudel Tobsy" oder "Dagmars mutige Tat" - alles Perlen einer repressiven Literatur. Alphabetisch sortiert stehen Hunderte dieser bunten Bücher bei Klaus im Regal, immer wieder holt er das eine oder andere hervor, um den abwaschbaren Einband auf Glanz zu polieren. "Die lese ich aber nicht", erklärt Klaus, "ich würde mich zu Tode langweilen. Nein, ich schaue sie mir nur an, vor allem die Illustrationen. Ich liebe diese schlichten, schnellen Bleistiftzeichnungen."
Rico sammelt hochhackige Schuhe, egal welche Größe, Hauptsache, hoch. Bei Matze stapeln sich Bilder vom Taj Mahal, bei Sonnenschein, im Abendlicht, gemalt oder gestickt. Horst hat so viele Single-Schallplatten skandinavischer Schlagersängerinnen angehäuft, dass man befürchtet, die ganze Vinyl-Last werde dereinst durchbrechen bis nach ganz unten im Haus.
Peter sagt, ihm sei es egal, ob irgendeiner sich noch an ihn erinnert, wenn er mal tot ist. Er sammelt Kerle, hier und jetzt und jeden Tag einen neuen. Das sei nichts für die Nachwelt, sagt Peter. Er lügt. In seinem Nachlass wird sich dereinst ein Oktavheft finden mit all den Namen seiner Lover darin, fein säuberlich notiert von A bis Z.
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