die wahrheit: Rache für Dustin
Kaum ist er im Amt, da benimmt er sich auch schon daneben. Der irische Premierminister Brian Cowen, der die Stelle vor knapp drei Wochen von Bertie Ahern übernahm...
Kaum ist er im Amt, da benimmt er sich auch schon daneben. Der irische Premierminister Brian Cowen, der die Stelle vor knapp drei Wochen von Bertie Ahern übernahm, weil der wegen undurchsichtiger Finanzgeschäfte zurücktreten musste, ist ein Landei mit schlechten Manieren. Deshalb habe er auch so wulstige Lippen, mutmaßte der großmäulige nordirische Pfarrer Ian Paisley von der Democratic Unionist Party: Cowens Mutter habe sie ihm regelmäßig aus Strafe für seine Ungezogenheit am Fußboden festgeklebt.
Dann hat sie vorigen Mittwoch den Sekundenkleber wohl wieder aus dem Schrank geholt. Am Vormittag hatte sich Cowen nämlich im Parlament zu seiner Stellvertreterin Mary Coughlan hinübergelehnt und ihr zugeraunzt, sie solle sich "all those fuckers" schnappen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der Sitzungssaal mit hochwertigen Mikrofonen ausgestattet ist. So musste er sich noch am selben Abend entschuldigen. Er habe niemanden beleidigen wollen. Hatte er den Begriff etwa als Kosewort gebraucht?
Und wen hat er damit gemeint? Niemanden von der Opposition, versicherte er, und schon gar nicht Oppositionsführer Enda Kenny, mit dem er sich kurz vor seiner Bemerkung ein wütendes Wortgefecht geliefert hatte. Das böse Wort sei lediglich bei einem beiläufigen Gespräch zwischen Arbeitskollegen gefallen, behauptete er. Es habe sich auf Behörden, Regierungsministerien, Ölmultis, Supermärkte, den Verbraucherverband und nichtstaatliche Agenturen bezogen, die ihm erklären sollten, warum in Irland alles so teurer ist. Respekt! Mit einem einzigen Satz fast die gesamte Nation zu beleidigen, schafft nur Cowen.
Die Opposition glaubte ihm kein Wort, hatte Cowen doch kurz zuvor ihrem Gesundheitsexperten James Reilly während eines Streits um die Finanzierung von Pflegeplätzen angedroht, dass er seinen Abgeordneten befehlen werde, jedes Mal zu kreischen und zu brüllen, wenn Reilly das Wort ergreife. Enda Kenny bemerkte indigniert, das sei ein unwürdiges Verhalten für einen irischen Regierungschef.
Aber Cowen trägt nicht umsonst den Spitznamen "Biffo". Das ist die Abkürzung für "Big Ignorant Fucker From Offaly". In der mittelirischen Grafschaft Offaly kam Cowen 1960 auf die Welt, und dort trinkt er in der Kneipe seines Bruders in jeder freien Minute Bier. Ein anderes Hobby hat er inzwischen aufgegeben. In einem Interview sagte Cowen, dass zu seinen Studienzeiten auf Partys öfter mal ein Joint gekreist sei. "Im Gegensatz zu Bill Clinton habe ich inhaliert", gab er zu.
Cowen ist außerdem Musikexperte. 2003 war er mit einem Lied auf einer CD vertreten, deren Erlös einer Wohltätigkeitsorganisation zugute kam. Vor diesem Hintergrund wird klar, wen er mit "those fuckers" gemeint hatte. Am Vortag war nämlich Dustin, der irische Truthahn, beim Eurovision Song Contest im Halbfinale ausgeschieden, weil das Tier von den anderen 19 Teilnehmerländern keine Stimmen bekommen hatte. Und die meinte Cowen mit seiner Beschimpfung. Wenn Irland als einziges Land am 12. Juni in einem Referendum über den EU-Reformvertrag von Lissabon entscheidet, wird Cowen dagegen stimmen - aus Rache für Dustin.
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