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die wahrheitDie Vagina-Kommission

Kai Mertens half sich den vierten Whisky ein. Seinem Arzt würde das nicht gefallen. Aber Mertens wusste selbst, dass er zu viel trank. Die verdammte ...

Kai Mertens half sich den vierten Whisky ein. Seinem Arzt würde das nicht gefallen. Aber Mertens wusste selbst, dass er zu viel trank. Die verdammte Hüfte. Längst hätte er sich operieren lassen müssen. Er hatte einfach zu viel Zeit auf schlechten Stühlen verbracht. Wer am längsten sitzt, hat am Schluss recht. So hatte er sein Leben lang Politik gemacht.

Zwanzig Jahre war er jetzt Vorsitzender. Ein paar Jahre zu lang. Aber er musste noch zwölf Monate durchhalten. Dann war die nächste wichtige Wahl. Doch war nicht immer etwas Wichtiges gewesen? Er wusste nicht, warum er sich das überhaupt noch antat. Mertens nahm einen großen Schluck.

Er brauchte Urlaub. Drei Wochen ohne Telefon. Aber das war undenkbar. Gerade jetzt, da die Partei wieder einmal in einer Riesenkrise steckte. Die Umfragewerte lagen unter dem Grundwasserspiegel. Und seine Nachfolger standen bereits in den Startlöchern. Mertens lachte höhnisch. Aber wer sollte ihn schon ersetzen? Alles Luschen, Nulpen, Arschkrampen …

Er würde das tun, was er immer getan hatte, wenn es eng wurde. Schließlich beherrschte er das Politgeschäft aus dem Effeff. Er kannte jede Finte, jeden Trick. Das musste er auch, um seine Macht zu erhalten. Das war schon so, als er noch Journalist war. Er hatte sich immer an Zola gehalten: "Der Journalist ist nur ein späterer Politiker."

Ach damals … Da hatte er noch hehre Ziele. Wollte die Welt retten. Oder zumindest verbessern. Früher hatte er sich einen Dreck um Wähler gekümmert. Wähleranalyse? Scheiß drauf! Er machte Politik! "Nichts Gutes: außer man tut es", hieß seine Devise. Und jetzt? Jetzt rannte er Meinungsumfragen hinterher und war auf der Suche nach irgendeinem Wählerwillen. Und dann tat er, was er immer tat: Er setzte eine Kommission ein.

Ja, ja, ja, er kannte alle Sprüche seiner Kritiker: "Wenn du nicht mehr weiter weißt, dann gründe eine Kommission" oder "Eine Kommission ist eine Gruppe von Unwilligen, ausgewählt aus einer Schar von Unfähigen zwecks Erledigung von etwas Unnötigen". Aber es hatte immer funktioniert und würde es auch diesmal wieder. Er würde die Kommission mit den üblichen Gestalten besetzen. Ganz paritätisch: vier Frauen, vier Männer. Und nur Mittelmäßige, die auf Karriere geil sind. Die würden sich dort gegenseitig blockieren.

Nur müsste diesmal ein Hammername her. Ein Kommissionstitel, der alles rausreißen würde. Für die Medien. Für die Wähler. Nicht eins dieser Leerworte, keine "Agenda"-Kotze.

Mertens goss sich einen fünften Whisky ein. Einmal mehr bedauerte er es, keine Frau zu sein. Dann hätte er viel schamloser den Macchiavelli geben können. Und auch mal weinen dürfen. Manche Träne in einer Sitzung hätte ihm die kaputte Hüfte erspart. Dieses elende Wort "Agenda" verklebte ihm das Hirn. "Agenda"? Da kann man ja gleich "Vagina" nehmen. "Vagina"?! Aber das ist doch die Lösung! Sein Entschluss stand sofort fest. Er würde morgen vor den Kameras die "Vagina-Kommission zur Ergründung unentdeckter weiblicher Wählerschichten" vorstellen. Stahlgewitter an Spott und Häme würden über ihm niedergehen und ihn wegfegen. Und er wäre endlich frei, ach, frei …

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