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die wahrheitDer Meister und die Dampflokomotive

Seit vorigem Monats tobt ein Tornado durch Großbritannien, und die Eisenbahnfans haben feuchte Augen. Der Tornado ist eine Dampflokomotive...

Seit vorigem Monats tobt ein Tornado durch Großbritannien, und die Eisenbahnfans haben feuchte Augen. Der Tornado ist eine Dampflokomotive - die erste, die seit fast zwanzig Jahren im schwerindustriefreien England gebaut worden ist. Nur den Boiler mussten sie aus Meiningen kommen lassen. Es hat 18 Jahre gedauert, bis der Verein der Eisenbahnfreunde die 3 Millionen Pfund gesammelt hatte, die das 160 Tonnen schwere Gerät kostete. Anfang August startete die Jungfernfahrt in Darlington in der Grafschaft Durham im Nordosten Englands. Dort hatte fast auf den Tag genau 40 Jahre zuvor die letzte Linienfahrt einer Dampflokomotive geendet.

Die Abschiedsfahrt war damals ausverkauft, obwohl die Tickets nach heutigem Geldwert 400 Pfund kosteten. Die Passagiere stellten Särge auf die Bahnpuffer, auf den Boiler hatte jemand "Tschüss, gemeine Welt" gesprüht. Die Passagiere wussten offenbar, dass es mit der britischen Eisenbahn bald vorbei sein würde. Seit der Privatisierung ist eine Bahnfahrt gar nicht mehr lustig, sondern ein Glücksspiel, und ein teures noch dazu. In Darlington müssen sie das Ende der Dampflokomotive sehr lange vorausgeahnt haben, denn schon 1857 haben sie eine dieser Lokomotiven auf einen Sockel vor dem Bahnhof gestellt.

Das war das bisher einzig Bemerkenswerte an der Stadt, und so hätte es auch bleiben sollen, wenn es nach den Bewohnern gegangen wäre. Doch dann ließen sich voriges Jahr 350 Anhänger der "Koations" in dem Nest nieder. Das ist eine Abspaltung der "Goreans", die 25.000 Mitglieder in Großbritannien haben. Sie leben nach den Geboten von John Norman, die er vor 40 Jahren in seinen Science-Fiction-Büchern aufgestellt hat. Sie erzählen vom Land Gor, das in Kasten unterteilt ist. Ehepaare müssen der Gleichberechtigung abschwören und in einer Meister-Sklaven-Beziehung leben. Die Frau ist dabei immer die Sklavin.

Das bezieht sich nicht nur auf die sexuelle Beziehung, sondern die Frauen müssen auch sauber machen und kochen. Science Fiction? Die Leute in Darlington merkten, dass irgendetwas in ihrer Stadt vor sich ging, als in sämtlichen Geschäften Ketten, Kerzenwachs und Hundehalsbänder ausverkauft waren. Niemand weiß, warum sich die Koations ausgerechnet eine Vorortsiedlung im Nordosten Englands ausgesucht haben.

Eines Tages kam jedenfalls die Polizei. Sie hatte einen Tipp bekommen, dass eine 29-jährige Kanadierin gegen ihren Willen versklavt worden sei. In Wirklichkeit saß sie freiwillig in Darlington fest, weil sie ihren Reisepass verbrannt hatte. Ihr Meister, der 31-jährige Lee Thompson, sagt: "Unser System funktioniert deshalb, weil manche Frauen das dringende Bedürfnis haben, zu dienen. Jede ihrer Handlungen zielt auf das Wohl ihres Meisters ab. Man hat mich als krank beschimpft, aber was ich tue, ist nichts Böses."

Der Fleischer in Darlington ist anderer Meinung. Er hat Thompson Hausverbot erteilt, nachdem der seine Freundin an einer Hundeleine in den Laden geführt hatte. Vielleicht sollten sie Thompson an die historische Lokomotive ketten. Dann hätte das verschlafene Städtchen zwei Sehenswürdigkeiten auf einen Streich. Und man könnte mit dem nächsten Zug weiterfahren.

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