die wahrheit: Ansage mir frisch, Ansager
Seit geraumer Zeit gehört das Wort "angesagt" zu den "angesagtesten" im Repertoire der "Ansager" in allen Medien.
Seit geraumer Zeit gehört das Wort "angesagt" zu den "angesagtesten" im Repertoire der "Ansager" in allen Medien. Das Wort ist der Ersatz für den Rohrstock und den Zeigefinger, den einst Lehrer, Offiziere und anderes Ansagepersonal für ihre imperativen Ansagen benützten. Zwischen Rohrstock und Zeigefinger von gestern und den medialen Ansagern von heute klaffen jedoch Welten und ein kategorialer Unterschied.
Lehrer, Offiziere und anderes altes Ansagepersonal standen für eine mehr oder weniger anerkannte Autorität und eine mehr oder weniger unbestrittene Institution. Der heutige mediale Ansager ist nur ein Ich-Verstärker, der keine Autorität besitzt und keine Institution vertritt, sondern seine privaten Vorlieben anpreist oder modische Trends verstärkt.
Das Ansager-Ich macht seine Bandscheibenprobleme, die Macken seines Hundes oder seiner Katze, seine Badezimmer- und Trinkgewohnheiten, seine Bier- und sonstigen Vorlieben öffentlich und knüpft daran - einmal warmgelaufen - allerhand Spekulationen und Verallgemeinerungen der restlos subalternen Art.
Das intellektuell anspruchsvollere, essayistische Ansager-Ich bastelt sich aus den Geldproblemen seiner Tante den neuesten Trend des Kapitalismus oder aus den notorisch schlechten Manieren von Zeitgenossen die Normalität und Unvermeidlichkeit von "nationaler Identität" oder "Kriegen gegen den Terror". Dieses feuilletonistische Ansager-Ich übersetzt das graeco-lateinische Sprichwort "per aspera ad astra" ("Durch Mühsal zu den Sternen") mit der Friedrich-Merz-Devise: "Durch den Bierdeckel zur Politik."
Beim Sortieren von Gott und der Welt hilft dem Ansager-Ich außer seiner Alltagserfahrung und seiner familiär-freundschaftlichen Umgebung der ebenso handliche wie idiotische Schematismus "korrekt/unkorrekt". Zum Beispiel sind Alkoholiker und Fixer - für Ansager "korrekt" gesehen - Suchtkranke. Ansager bevorzugen aber den "angesagten", vermeintlich "unkorrekten" Blick. Dem zufolge sind von der Sucht geheilte Menschen ebenfalls süchtig - nämlich nach Suchtlosigkeit, sie sind Suchtlosigkeitssüchtige. Ergo und total "unkorrekt" ist alles irgendwie Sucht. Nach diesem Schema läuft alles auf dasselbe hinaus. Das Ansager-Ich hat sich rückversichert: "korrekt/unkorrekt" funktioniert wie eine Mühle im Brettspiel.
Wenn es um das Sortieren von Menschen und Meinungen geht, setzt das Ansager-Ich auf das unmittelbar Sichtbare, also auf Klamotten, Brille etc., die jemand trägt. Die Ansager unterstellen einen Zusammenhang zwischen Klamotten, Brille etc. einer Person und dem, was jemand sagt. Kleider machen nicht länger Leute, wie Gottfried Keller meinte, sondern Klamotten bestimmen die Geltung von Argumenten und die Konsistenz von Sätzen. Kombiniert mit dem Schema "korrekt/unkorrekt" erzeugt der Klamotten-Blick eine schnelle Sicht aufs Ganze: im Disput zwischen einem Pazifisten im Wollpullover und einem Kriegswilligen in smartem italienischem Tuch und "angesagter" Brille hat der "Wollpullover" verloren, bevor er ein Argument vorgetragen hat - eine bequeme Zwick- oder Doppelmühle.
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