die wahrheit: Erlebnislyrik am Tellerrand
Der Kulturkritiker und Koch Walter Himberg kennt die Welt des Essens und der Literatur.
Unangepasst, unkonventionell und umstritten: Der fränkische Kulturkritiker und Koch Walther Himberg hat es nicht leicht gehabt, Anerkennung in der Literaturwissenschaft zu finden. Dies gilt vor allem, seitdem er die These vertreten hat, es gebe keinen Unterschied zwischen schwäbischen Rezepten für Mehlspeisen und der Erlebnislyrik von Annette von Droste-Hülshoff.
In seinem Vortrag zum Thema "Die deutsche Literaturgeschichte im Dampfdrucktopf der Epochen", den er jüngst in der Theodor-Storm-Fischhalle in Husum hielt, vertrat Himberg zudem die Auffassung, Goethe sei nicht nur klein und hässlich gewesen, sondern habe auch keine ordentliche Hühnersuppe zubereiten können. Seinen daraus resultierenden Minderwertigkeitskomplex habe er versucht mit einer Vielzahl von Dramen und Gedichten sowie Rezepten für Käse-Igel zu kompensieren. Daraus seien später größere Teile der deutschen Literatur erwachsen sowie das erste Kochbuch für kleinwüchsige Männer. Himberg betonte, er habe zwar noch keine einzige Zeile von Goethe gelesen, sei sich aber ziemlich sicher, dass seine Thesen zuträfen.
Gleichzeitig vertrat er die Ansicht, dass Schokoladen- und Vanilleeis nur deshalb zusammen serviert würden, weil sich dadurch der Geschmack des Schokoladeneises intensiviere. Für diese Behauptung könne er mehrere Zeugen benennen, unter anderem sich selbst. Goethes Lieblingsessen sei dagegen Blutwurst gewesen oder irgendetwas mit Fisch oder geröstetem Brot.
Röstbrot habe auch Lessing gern genossen, wie Himberg erklärte, nicht selten in Verbindung mit mehreren Gläsern gut gekühltem Kirschsaft, denen auch Himberg selbst gern zuspreche. Lessings aufklärerische Positionen halte er dagegen für "weltfremd" und "oft in sich nicht schlüssig". Als Beleg verwies Himberg auf die sogenannte Wandschrankproblematik. So habe Lessing laut Himberg darauf verwiesen, dass platzsparende Pferde in einem Wandschrank als Triumph der Vernunft zu gelten hätten. Himberg widersprach dieser Vorstellung vehement. Die Vernunft habe erst gesiegt, wenn es auch Wandschränke für platzsparende Wale gäbe. Noch besser seien jedoch platzsparende Wandschränke in platzsparenden Wandschränken mit Platz für platzsparende Wale und Pferde.
Himberg empfahl Lessing nachträglich einen Blick über den eigenen Tellerrand. Mit etwas Übung habe er Talent entwickeln und einige aufregende Nudelgerichte erfinden können. Eine Begabung habe sich hier in abstrakten Gedankengängen verzettelt, wo eine schmackhafte Sommerküche leicht hätte entstehen können.
Schiller, so Himberg, habe am liebsten Wurzelsalat mit Pellkartoffeln und Quark gegessen. An Schillers Werken bemängelte Himberg vor allem die Wurschtigkeit in der Gedankenführung: Das sei erkennbar alles in "fünf, sechs Wochen runtergehauen", vieles stamme auch gar nicht von Schiller selbst, sondern sei schlicht abgeschrieben, "von wem auch immer". Statt Schiller zu lesen empfahl Himberg den Verzehr von Bio-Bratwurst. Da das emotional bedingte Handeln sich dabei mit einer moralischen Überzeugung zu einer harmonischen Einheit verbinde, könne man diese Essgewohnheit durchaus als Erhabenheit bezeichnen. In Schillers "Maria Stuart" sei die Titelheldin mit solch einer geistigen Haltung noch aufs Schafott gekommen, heute könne man dagegen gefahrlos vegane Mandel-Nougat-Schnitten essen, ohne dass etwas passiere. "Waren halt andere Zeiten damals", schloss Himberg seinen Gedankengang ab, bevor er in eine Currywurst biss.
Anschließend gestand Himberg ein, dass er keinen Zugang zum Werk von Thomas Mann finde. Stattdessen unterstellte er dem Autor von Geschwätzigkeit und leeren Phrasen gespeiste Plots, die sich problemlos auf ein, zwei Bögen Backpapier zusammenfassen ließen, insgesamt jedoch ohne jede nennenswerte Substanz seien. "Man kann keine Tür finden, wo es kein Haus gibt", fasste Himberg seine Kritik zusammen.
Gleichzeitig konstatierte er eine Vorliebe Manns zur Fischfrikadelle, die sich auch in seinen Werken immer wieder zeige. Als besonderes Beispiel verwies Himberg dabei auf "Lotte in Weimar". Er selbst bevorzuge allerdings Zanderfilet in Meerrettichsoße.
Kafkas Prosa, so fuhr Himberg schließlich fort, könne man dagegen fast als kalorienarm bezeichnen. Ihr fehle es insgesamt an verfeinernden Zutaten und dekorativen Beilagen, was bedauerlich sei, schließlich esse das Auge immer mit. Leider habe Kafka aber der Mut gefehlt, die eine oder andere Textstelle mit gepfefferten Szenen "aufzujazzen", was, laut Himberg, "gut möglich gewesen" wäre. Trotz seiner kargen Prosa habe Kafka am liebsten Schinkenravioli und eingemachte Sülze mit Bohnenkraut gegessen.
Er sei froh, so schloss Himberg, dies alles noch vor dem Abendessen habe vortragen zu können. Dann verlangte er nach einem kleinen Bier, schwäbischer Mehlspeise und einigen Gedichten von Annette von Droste-Hülshoff.
Anschließend wurde er von seinen Zuhörern mit alten Fischresten und Christa-Wolf-Büchern beworfen. JAN ULLRICH
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