die wahrheit: der homosexuelle mann
… der klandestine, hat einiges auszuhalten, nach seinem Tod mehr noch als zu Lebzeiten: Mutmaßungen, Gerüchte, Projektionen. So erging es den Schauspielern Rock Hudson...
… der klandestine, hat einiges auszuhalten, nach seinem Tod mehr noch als zu Lebzeiten: Mutmaßungen, Gerüchte, Projektionen. So erging es den Schauspielern Rock Hudson und Walter Sedlmayr, dem Sänger Rex Gildo, dem FBI-Chef J. Edgar Hoover, dem Designer Gianni Versace. Und so ergeht es in diesen Tagen dem österreichischen Politiker Jörg Haider. Kaum ist er tot, wissen alle über alles Bescheid. Das, was sich davor kaum einer öffentlich zu sagen wagte, wird mit einem Mal detailliert erörtert auf dem ganz großen Markt.
Die Floskeln, die aus einer "schillernden" Persönlichkeit einen toten Homo machen, sind die gleichen geblieben, bis heute. So lange er lebte, der Sedlmayr, der Gildo, der Haider, war seine "sexuelle Neigung" Privatsache, darüber zu spekulieren oder gar offen zu reden war ungehörig, verletzte - wie der Schwarzwälder Bote formuliert - den "Ehrenkodex, der Journalisten vom Ausspionieren sexueller Neigungen Prominenter abhielt". Dieser ominöse Ehrenkodex kommt immer und fast ausschließlich dann zum Einsatz, wenn es um Homosexuelle geht.
Nur von ihrem homosexuellen Leben wird als Privatleben geredet, das doch tabu sei und kein Thema für alle Welt. Nie käme irgendeiner - wie jetzt im Falle Haider - auf die Idee, öffentliche Worte und Bilder von der Ehefrau und den Kindern, vom heimischen Kamin und der sportlichen Freizeitbeschäftigung abzuwehren: "Lassen Sie mich damit in Ruhe! Das geht mich doch gar nichts an - das ist sein Privatleben!" Geradezu absurd würden derartige Reaktionen erscheinen.
Geht es aber um Homosexualität, schallt den Menschen ausschließlich das "Sexuelle" entgegen, nur das hören sie raus, und jede homosexuelle Existenz wird reduziert darauf. Der homosexuelle Mann, ein soziales Wesen? Ein Mitbürger wie du und ich? Da sei jedes Ressentiment davor, zuallererst ist ihm ein schmutziges Geheimnis zueigen, und davon will man nun wirklich nichts wissen. "Die Fans und treuen Wähler möchten über Jörg Haider so etwas nicht lesen!", fasst das Internet-Magazin "KuVi" zusammen, "Wir hätten nichts geschrieben, selbst wenn wir Beweise gehabt hätten", sagt Profil-Herausgeber Christian Rainer.
Der Tod verändert alles, vor allem das Leben eines klandestinen Homosexuellen. Plötzlich gibt es kein Tabu mehr: Boulevardzeitungen lassen den 18-jährigen Daniel zu Wort kommen - einen "Daniel" gibt es immer in diesen Geschichten. Ungenannte erzählen nun von Buberln in der Partei und ganz anderen Buberln im sicheren Ausland, alte Fotos mit jungen Männern werden mit einem Mal neu gesehen. Das ist der schäbige Preis für die vorenthaltenen klaren Worte zu Lebzeiten. Die Trauermesse ist kaum gelesen, und schon lechzen die Hinterbliebenen nach dem Skandal.
Der homosexuelle Mann ist nicht ohne Schuld daran, beständig tappt er in die Falle des vermeintlich "Privaten", lässt sich hasenfüßig darauf ein, dass es um nichts mehr ginge als um Sexualität, und die gehöre doch schließlich ins Schlafzimmer, Heterosexuelle würde ja auch nicht jedem jederzeit ihre "Neigung" auf die Nase binden. Dumm gelaufen, wer darauf reinfällt, so einfach lässt sich nun mal das eine Ufer nicht mit dem anderen vergleichen.
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