die wahrheit: Hier hesse ich, ich kann nicht anders
Lutheraner braucht das Land! Drei von vier hessischen Landtagsabgeordneten, die Andrea Ypsilanti nicht mögen wie Martin Luther den Teufel, sind Frauen...
Lutheraner braucht das Land! Drei von vier hessischen Landtagsabgeordneten, die Andrea Ypsilanti nicht mögen wie Martin Luther den Teufel, sind Frauen. Und drei aus dem gemischten Vierer brauchten gerade mal acht Monate, um festzustellen, dass sie sozusagen schwanger sind. Nicht mit einem Kind, sondern mit rundum Teuflischem - dem Gewissen.
Und dieses blies ihnen ins Ohr: "Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen." Ob Luther das 1521, also lange nach dem Mittelalter, auf dem Reichstag in Worms - keine hundert Kilometer entfernt von Frankfurt/Wiesbaden - so wirklich gesagt hat, bezweifeln viele Experten. Sicher ist, dass Luther gegenüber dem frömmsten, klügsten, verschlagensten, mittelalterlichsten und brutalsten unter den katholischen Kaisern die letzten vier Worte - "Gott helfe mir, Amen!" - geäußert hat.
Der Fromme, Kluge, Verschlagene, Mittelalterliche und Brutale hieß nicht Roland Koch, sondern Karl V.
Kaiser Karl war der, in dessen Herrschaftsbereich die Sonne nie unterging, weil er halb Europa zusammenerbte und halb Südamerika eroberte. Der merkte plötzlich, dass in der gerade zaghaft einsetzenden Zeit der Moderne und der Aufklärung mit Frömmigkeit, Klugheit, Mittelalterlichkeit und Brutalität immer noch viel, aber nicht mehr das Ganze und schon gar nicht das Beste zu erreichen war. Er trat ab und ging ins Kloster nach Spanien, also weit ab von den Bauern- und Religionskriegen. Kurz davor mobilisierte er allerdings noch hurtig sein hauptsächlich aus lutheranischen Soldaten bestehendes Heer und ließ 1526 Rom, den Wohnort seines allerkatholischsten Chefs und Beichtvaters, plündern und zerstören und viele Römerinnen vergewaltigen. Auch Frömmigkeit, Klugheit und Mittelalterlichkeit haben ihren Preis und ihre Kollateralschäden.
Der allerchristliche Brutalaufklärer und Hesse Roland Koch überlebte den Spendenskandal mit den getürkten "jüdischen Vermächtnissen" fast unbeschadet dank einiger ebenso gewissenhafter wie schwurerprobter Mitchristen. Ob die hessische SPD die späte Entdeckung von akuter Gewissensschwangerschaft durch drei Landtagsabgeordnete - zwei Frauen und ein Mann mit heftig wechselnden Gefühlslagen - so einfach überlebt wie Koch, ist nicht klar.
Das führt zurück mitten ins Drama des vulgarisierten Luthertums, das auch nach 500 Jahren immer noch "Hier stehe ich, ich kann nicht anders" sagt, wenn es Interessenkonflikte und offene Rechnungen an Gott umadressiert, der bekanntlich alles hört, aber nichts sagt. Vulgarisiertes Luthertum ist so gesehen genau das, was der Hesse Georg Büchner als "kommode Religion" bezeichnete.
Wenn man die, krummdeutsch gesagt, mediale Performance der vier hessischen Spätlutheraner gesehen hat, drängt sich ein Eindruck auf: Aus den drei "Kann-nicht-anders-Frauen" wird politisch nichts mehr. Aber der Mann, der hat das Zeug zum Staatssekretär in Kochs nächster Regierung, weil er eine unumgängliche Tugend beherrscht. Er kann stündlich auch ganz anders - mit und ohne Luther. Genau solche zu Spätlutheranern gebleichten Lutheraner braucht das Land: subito.
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