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die wahrheitDer Präsident in der Leitung

Es war ein ganz gewöhnlicher Herbsttag im Büro. Der Ticker war wie immer leer, die Seite erst halb gefüllt und ich bosselte an irgendeiner Elchmeldung herum.

Es war ein ganz gewöhnlicher Herbsttag im Büro. Der Ticker war wie immer leer, die Seite erst halb gefüllt und ich bosselte an irgendeiner Elchmeldung herum. Ich saß allein im Kontor, denn die Kollegin war krank und der Praktikant seit Stunden beim Mittagessen. Die Redakteure aus den Nachbarbüros hatten sich wie üblich auf die Hintertreppe zum Rauchen verkrümelt. Die gesamte vierte Etage war wie leergefegt.

Plötzlich bauten sich zwei Männer vor meinem Schreibtisch auf. Ein Schwarzer und ein Weißer. Beide ein Kreuz wie ein Kleiderschrank. Sie trugen dunkle Anzüge, verspiegelte Sonnenbrillen und Knöpfe im Ohr. An den Revers prangten Pins mit der amerikanischen Flagge. "Ringel? Mike Ringel?", fragte der weiße Kleiderschrank, und ich nickte nur. Die Beule unter seiner Achsel beunruhigte mich nicht so sehr wie der Aktenkoffer aus Krokodilleder, der in seiner bratpfannengroßen Hand wie eine Spielzeugschachtel aussah.

Der Schwarze drehte uns jetzt den Rücken zu und äugte misstrauisch den Flur hinunter, um seinen Kollegen abzusichern. Mr. White legte den Aktenkoffer auf meinen Schreibtisch und öffnete ihn. Eine Sekunde lang befürchtete ich das Schlimmste. Doch im Koffer befand sich nur ein Telefon. Ein rotes Telefon!

Mr. White griff zum Hörer, hielt ihn sich ans Ohr und drückte einen Knopf. Dann reichte er mir den Apparat mit den Worten: "Sir, der Präsident für Sie auf Leitung eins!" Misstrauisch übernahm ich den Fernsprecher, aus dem nun eine olivige Stimme an mein Ohr drang: "Mike? Hello. Hier ist Barack Obama." - "Mr. President", sagte ich wie einstudiert. "Well, Mike. Als Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika möchte ich Ihnen danken für alles, was Sie in den letzten Jahren für mich und für das amerikanische Volk getan haben." Wie erstarrt hörte ich zu. "Mike, wir wissen genau, was Sie geleistet haben. Sie haben einen großartigen Job gemacht in all der Zeit. Wenn Sie irgendwann mal etwas brauchen, rufen Sie mich ruhig an. Machen Sie weiter so. Und: God bless you!"

Durch den Nebel der verklingenden Worte hindurch vernahm ich noch ein gestammeltes "Thank you very much, Mr. President". Es stammte von mir. Dann wurde mir das Telefon aus der Hand genommen und wieder im Aktenkoffer verstaut. "Sie hören von uns", sagte Mr. White und tippte zum Abschied mit zwei Fingern an seine Stirn. Dann gab er dem stummen Schwarzen einen Wink, und beide verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren.

Immer noch benommen saß ich da, als der Praktikant zur Tür hereinschlurfte: "Und? Ist die Seite fertig?" Ich überhörte den Rülpser des Kleinen. Schlagartig aber wurde mir klar, dass niemand Zeuge des Geschehens geworden war. Jahrelang macht und tut man, hält allen möglichen Mist aus, ohne dass auch nur einmal die Arbeit, die man leistet, gewürdigt wird, dann endlich kommt das Lob von allerhöchster Stelle - und absolut niemand bekommt es mit, dass der Präsident der Vereinigten Staaten höchstpersönlich anruft, was er sonst nur bei Bruce Willis tut.

Ich erinnerte mich an die Worte des Präsidenten. Wenn ich irgendwann mal seine Hilfe bräuchte, sollte ich ihn anrufen. Das würde ich tun. Versprochen.

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