die wahrheit: Neues aus der Endzeitgruft
Atombrennstäbe retten die Welt - meint die Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten: Liebe Energieverbraucher, die frischen Brennstäbe sind eingetroffen. Die ganz heiße Ware aus der Normandie, berühmt für ihren vorzüglichen Camembert, aber eben auch für ihre ausdauernd strahlenden Brennelemente aus dem Wiederaufbereitungs-Château La Hague, konnten Dienstag früh in der niedersächsischen Zwischenlagerstätte Gorleben eingekellert werden. Der hochradioaktive Jahrgangsabfall 2008, eine bewährte Cuvée aus Uran, Plutonium und weiteren Spaltprodukten, ist von gewohnter Premiumqualität, also extrem lange haltbar und erst im Jahr 2035 so temperiert, dass er, in einer bis dahin noch zu bestimmenden Endzeitgruft für Millionen Jahre den Nach-uns-die-Sintflut-Generationen zu treuen Händen überlassen werden kann.
Und wenn Sie denken, damit hätten wir unser positives Nachrichtenpulver schon verschossen, kann ich Ihnen nur zurufen: Da haben Sie sich aber so was von verdacht! Der richtige Knaller kommt erst noch: Es ist nämlich nur noch eine Frage der Zeit, bis die amtierenden Verantwortungsträger unter der Leitung der promovierten Physikerin Angela Merkel den Klimawandel gestoppt haben. Und zwar nicht durch Zauberei, sondern durch den vermehrten Einsatz von Kernenergie.
In freundschaftlicher Zusammenarbeit mit den Propagandaabteilungen der Atomwirtschaft arbeitet die kernkompetente Kanzlerin an der Bewusstseinserweichungserweiterung der breiten Masse. Frau Dr. Merkels neuesten Erkenntnissen zufolge sind nämlich die international vereinbarten Klimaschutzziele ganz, ganz bestimmt nur durch längere Laufzeiten von Atomkraftwerken zu erreichen.
Selbstverständlich müssen begleitende, ebenfalls auf solider wissenschaftlicher Grundlage beruhende Klimarettungsmaßnahmen konsequent weiterbetrieben werden, so etwa die durch den Umweltengel Gabriel geförderte Produktion hubraumstarker Kraftfahrzeuge.
Natürlich wären alle diese visionären, von abgrundtiefem Sachverstand und sternhagelklarem Verantwortungsbewusstsein getragenen, richtungsweisenden politischen Entscheidungen von vornherein Makulatur, sähen ihre Urheber nicht die ständige Überprüfbarkeit, die Verlaufskontrolle dieser Entscheidungen vor.
Das jedoch ist die Beste aller guten Nachrichten: Politiker sind fehlbar, aber durchaus lernfähig. Das haben Frau Dr. Merkel und ihre aktuellen Hintersassen in jüngster Zeit eindrucksvoll bewiesen. Nachdem die von ihnen jahrelang angefeuerte Öffnung der internationalen Finanzmärkte in der Vernichtung eines riesigen Volksvermögens endete, entschieden sie sich umgehend und lautstark dafür, dass das alles wohl doch nicht so richtig war und es jetzt aber ab sofort anders werden müsse mit dem bösen, bösen Kapitalismus.
Skeptische Energieverbraucher können also erwarten, dass dieselben Politiker umgehend eine Korrektur ihrer Entscheidungen vornehmen werden, sollte sich plötzlich und unerwartet herausstellen, dass der Betrieb von Verbrennungsmotoren klimaschädigend ist. Und wenn die Wissenschaft herausfinden sollte, dass Atomkraftwerke und Strahlenmülldepots eine tödliche Bedrohung für die Bevölkerung darstellen, ist die studierte Physikerin Dr. Merkel bestimmt die Erste, die es erfährt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert