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die wahrheitEine Satire für Rosanna

Stellen Sie, liebe Leser, sich bitte einmal vor, Sie heißen Rosanna, sind 15 Jahre alt, leben in Göttingen und gehen dort zur Schule. Sie sind also ein ganz normales Mädchen.

Stellen Sie, liebe Leser, sich bitte einmal vor, Sie heißen Rosanna, sind 15 Jahre alt, leben in Göttingen und gehen dort zur Schule. Sie sind also ein ganz normales Mädchen. Und weil Sie so normal sind, gibt es eigentlich über Sie nichts zu berichten, was die Welt unbedingt wissen müsste. Wenn Sie also diesen Zeitungsartikel jetzt lesen, dann müssen Sie sich fühlen wie in einem Beitrag für die "Versteckte Kamera", bei dem Sie "zufällig" vor dem Fernseher sitzen, die Nachrichten gucken - und plötzlich verliest der Nachrichtensprecher eine Nachricht über Sie höchstpersönlich, über Rosanna, 15 Jahre, aus Göttingen.

Warum aber taucht Rosanna nun in der Zeitung auf? Weil ihre Schulklasse gerade im Unterricht das Thema "Tageszeitungen" durchnimmt. Ihre Klasse liest verschiedene Publikationen wie das Göttinger Tageblatt, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Süddeutsche Zeitung und auch die taz, um eine Woche lang den Lauf der Dinge im Filter der Redaktionen zu studieren. Daraus sollen die Schüler lernen, wie Journalismus funktioniert: Dass Journalisten auf Ereignisse reagieren, das alltägliche Geschehen in der Welt beobachten und die Handlungen von Politikern beschreiben und kommentieren. Im besten Fall sollen Journalisten als Stellvertreter der Gesellschaft die Politiker kontrollieren.

Rosanna muss sich das wie in einem Café oder Club vorstellen: In der Mitte auf der Tanzfläche tummeln sich die Politiker. Am Rande stehen die Journalisten und beobachten die Politiker. Nun gibt es allerdings an einem kleinen Extratischchen noch eine paar sehr spezielle Gestalten: die Satiriker. Die Satiriker schauen sich sowohl die Politiker als auch die Journalisten an und machen sich über deren selbstverliebte Hampeleien lustig. Für die Satiriker verletzen diese öffentlichen Peinlichkeiten die Vernunft. Aus moralischer Notwehr greifen Satiriker deshalb auch die persönlichen Schwächen ihrer Gegner auf und an und entlarven sie als das, was sie sind: Dummheiten. Was Satiriker nicht gerade beliebt macht. Denn wer die Wahrheit sagt, der macht sich Feinde. Aber das nur am Rande.

Die Satire darf bekanntlich alles, also könnten Satiriker sogar über ihre Leser schreiben. Leser wie Rosanna. Dann müsste der Satiriker eigentlich seine komischen Mittel benutzen und zum Beispiel behaupten, dass Rosanna riesiggroße Füße hat oder zu feucht herumknutscht, weshalb ihr dauernd die mambaartigen Dreadlocks zu Berge stehen, was ihr dann sicher total peinlich wäre, weil es alle Welt erführe. Aber der Satiriker kennt Rosanna ja gar nicht, deshalb kann er nicht wie üblich die Dinge zuspitzen. Denn die Satire braucht immer eine Stoßrichtung von unten nach oben. Der Satiriker schlägt aber nie auf Schwächere ein, sondern sucht sich immer mächtigere Gegner. Rosanna ist jedoch eine normale Schülerin, die vermutlich gerade verblüfft diesen Artikel über sich liest, weil sie nicht weiß, dass jemand aus ihrer Familie gemeinsame Sache mit dem Satiriker gemacht und sich gewünscht hat, Rosanna solle doch einmal erklärt werden, was eine Satire ist und wie man in eine hineingerät.

Schade, dass dies kein Fernsehen ist, sondern eine Zeitung. Leider können wir Rosanna und ihre Reaktion jetzt nicht sehen.

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