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die wahrheitWillenlos im gefrorenen Nebel

Albert lebt seit 20 Jahren an der irischen Westküste. Für seine Heimatflüge nach Deutschland zahlt er selten mehr als 1 Cent. Wie machen die Fluggesellschaften es, ...

... so fragte er sich neulich, dass sie dennoch profitabel sind? "Es muss doch Trottel geben, die den vollen Preis bezahlen", sinnierte er. Die gibt es. Mich zum Beispiel.

Vorgestern wollte ich nach einer kurzen Lesereise von Frankfurt nach Dublin zurückfliegen. Da ich ein notorischer Flugverpasser bin, stand ich ausnahmsweise besonders früh auf, um rechtzeitig zum Flughafen zu gelangen. So weit ging auch alles glatt, ich kam anderthalb Stunden vor dem vermeintlichen Abflug an und war stolz auf mich. Warum aber war der Schalter der irischen Fluggesellschaft Aer Lingus nicht besetzt? Mir kam ein schrecklicher Verdacht.

Ich habe es mir angewöhnt, die Abflugzeiten auf dem elektronischen Ticket durch eine fette Großschrift hervorzuheben, bevor ich es ausdrucke, damit ich auf einen Blick Bescheid weiß. Diesmal hatte ich versehentlich die Ankunftszeit in Dublin auf diese Weise markiert. Natürlich war der Flug über alle Berge. Und es war der einzige an diesem Tag.

Da ich wegen eines Familienfestes dringend zurück nach Dublin musste, trieb mich die Aer-Lingus-Angestellte einem ukrainischen Auf-den-letzten-Drücker-Buchungsspezialisten am Nachbarschalter in die Arme. Es sei bedauernswert, dass ich meinen Billigflug verpasst habe, heuchelte er Mitleid, aber es gebe Alternativen via Amsterdam oder London, wobei letztere Variante eine Stunde schneller sei. Ich, noch im Schockzustand, nickte willenlos. 560 Euro später dämmerte es mir, dass ich soeben freiwillig einen Flug mit Zwischenlandung auf dem widerlichsten Flughafen Europas gebucht hatte. Wer über Heathrow fliegt, kann sich von seinen Plänen für die nahe Zukunft verabschieden. Mein Flug hatte drei Stunden Verspätung, weil der Nebel in London gefroren war. In einem Land, wo Eisenbahnen durch Blätter auf den Schienen lahmgelegt werden, ist das eine plausible Erklärung.

Der Anschlussflug nach Dublin war nicht mehr zu schaffen. Ich hatte Glück im Unglück: Da ich als Spätbucher in der Business Class fliegen musste, konnte ich das Ticket umbuchen. Darüber hinaus stand mir ein Aufenthalt in der VIP-Lounge der Fluggesellschaft zu, was in Anbetracht der Tatsache, dass auch dieser Flug drei Stunden Verspätung hatte, ein kleiner Vorteil war. "Sie sind hier falsch", beschied mir der junge Engländer an der Rezeption. "Das hier ist die Lounge für internationale Flüge." Korrekt, entgegnete ich, denn ich wollte ja ins Ausland. "Aber nein, Sie fliegen doch nach Dublin. Da müssen Sie in die Lounge für Inlandsflüge."

Ich hätte ihn selbstverständlich nicht als "englisches Imperialistenschwein" beschimpfen dürfen, aber mein Hinweis auf 1922, als Irland die Unabhängigkeit erkämpfte, erschien mir durchaus berechtigt. Bevor die Sicherheitsbeamten kamen, hatte ich mich aus dem Staub gemacht. Als ich zehn Stunden nach der geplanten Ankunftszeit in Dublin landete, küsste ich johannespaulmäßig den Boden. Mein einziger Trost war, dass ich meinem Freund Albert unfreiwillig ein paar weitere 1-Cent-Flüge finanziert hatte.

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