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die wahrheitInges Engelsgeduld

Einsam, alt und unbeliebt? Das muss nicht sein. Warum nicht jobben im Alter? Drei Beispiele aus dem Alltag.

Sie haben alles gesehen. Sie haben alles erlebt. Sie haben alle Zeit der Welt. Und dennoch bleiben viele alte Menschen in unserer Gesellschaft außen vor, sind in dieser schnelllebigen Zeit nur noch Zaungäste: lungern an Ententeichen oder in Hörsälen herum und fühlen sich zu nichts nutze. Ja, es ist wahr: 99,7 Prozent der deutschen Rentner gehen keiner sinnvollen Beschäftigung nach, leben einfach in den Tag. Einen Leserbrief hier, ein Dialekt-Gedicht da, mehr steuern sie zum Gemeinwohl nicht bei.

Woanders ist das anders. Zum Beispiel in Bulgarien, wo fröhlich schwatzende Babuschkas mit selbst gestrickten Socken auf der Straße ein paar schnelle Cents machen. Oder bei den Hopi-Indianern, wo die Ältesten tagein, tagaus im Tipi hocken und die Geister der Vorfahren anrufen. Warum also nicht auch in Deutschland alte Menschen wieder mehr integrieren, ihre Vorzüge wertschätzen, ihr brachliegendes Kapital nutzen? Warum ihnen nicht neue Herausforderungen bieten? Zum Beispiel in Form einer philanthropischen Tätigkeit: als Mäzen.

So wie Walter T., 83 Jahre, aus Bielefeld. Einsam, alt und unbeliebt, sehnte er sich viele Jahre nach Nähe. Die hat er jetzt gefunden. Seit 2008 engagiert er sich als Mäzen für ein popkulturelles Magazin. Walter lässt sich nicht lumpen, lässt monatlich 500 Euro springen. Das ist es ihm wert: Jeden Nachmittag darf er auf seinem Mäzen-Klappstuhl im Redaktionsbüro Bielefeld sitzen und mit geschäftiger Miene den jungen Blattmacherinnen bei der Arbeit zuschauen. Satt sehen kann er sich nicht: "Besser als Zierfische, besser als Weltkriegsvideos", grinst er.

Über dem Haarkranz trägt Walter ein Stirnband, "Mäzen" steht in großen Lettern darauf. "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es", sagt Walter und rückt seine Krawatte zurecht. Echte Zuneigung erhält er zwar nicht, aber dafür das Surrogat Sozialprestige: Sein Name steht dick im Impressum des Blattes. Ganz unten. Grau auf weiß. "Win-win", resümiert Imke, die Chefredakteurin. "Walterchen ist genau richtig: selbstlos, bleibt gern im Hintergrund, auch auf den Redaktionsfotos, und quatscht uns nicht rein."

Walter lächelt. Er weiß um seine Bedeutung: "Was wäre Michelangelo ohne die Förderung der Medici? Was wäre Goethe ohne den Herzog von Weimar?", sagt er. Nur ganz selten, gesteht er, kann er sich nicht am Riemen reißen und sabbert einem der Mädels aufs Knie. Das gibt dann eben eine vierfarbige Doppelseite extra. Die Walter zahlt.

Das größte Kapital vieler alter Menschen lagert jedoch nicht auf ihrem Konto, sondern in ihrem Herzen: Es ist ihre Weisheit, ihre Sanftmütigkeit, ihre Geduld. Die idealen Voraussetzungen für eine Arbeit als Peacekeeper. Zu diesen zählt Inge, 76 Jahre, aus Berlin-Wilmersdorf. Irgendwann sagte sie sich: Immer nur Enkel hüten, Obst einwecken und Briefkastenfirmen finanziell unterstützen kann es doch nicht sein. Seit zwei Jahren engagiert sie sich ehrenamtlich als Streitschlichterin im Jugendzentrum Wedding.

Zu schlichten gibt es reichlich: "Vor allem die Buben bekabbeln sich ständig. Kein Wunder: verschiedene Altersklassen, verschiedene Rassen", erörtert Inge, da blieben Konflikte nicht aus. Inge versucht, die jungen Leute dazu zu bringen, dass sie einander zuhören, die Standpunkte anderer akzeptieren. Nicht immer mit Erfolg. Wenn die Streithähne aufeinander losgehen, gerät sie schon mal zwischen die Fronten, kassiert ein blaues Auge oder ein blutiges Knie.

"Diese Rotznasen, diese Rabauken", brummt sie dann, aber rappelt sich wieder auf, fährt kurz mit dem Kamm durch die weißen Locken und macht weiter. Angst hat sie nicht. "Freundchen - friedlich!", herrscht sie einen bulligen Rapper an und reckt seinem Klappmesser einen mahnenden Zeigefinger entgegen. Inge hat eine Engelsgeduld, aber auch klare Regeln. Da ist sie unnachgiebig: "Keine Kraftausdrücke, kein Kokain", erklärt sie. Und keine Anglizismen. Wenn wieder einmal einer "Motherfucker!", brüllt, hebt sie eine ihrer grauen Brauen: "Bürschchen, wie heißt das?"- "Mutterficker", nuschelt der Knabe. Und Inge nickt zufrieden.

Beispiel 3: Die Hausdame

Warum müssen alte Menschen junge Menschen immer beneiden? Sie könnten sich auch auf das besinnen, was sie diesen voraushaben. Das gilt vor allem für Frauen. Was haben alte Mütterchen nicht alles auf dem Kasten: Socken stopfen, Krawatten binden, Obst einwecken, dickbuttrige Stullen schmieren, Unterhosen ohne Falten bügeln oder Kloschüsseln polieren, bis sie glänzen. "Dafür sind sich die jungen Frauen von heute zu fein", sagt Philip, 29 Jahre, Single. Deshalb hat er sich eine waschechte Haushälterin engagiert. Mit Elsa, 73 Jahre, ist er hochzufrieden. Auch, weil sein "Hausdrache", wie er sie liebevoll nennt, ein strenges Regiment führt, rund um die Uhr.

Elsa kennt keine Gnade. Ob es darum geht, abgelegte Geliebte vor der Wohnungstür abzuwimmeln oder zu kontrollieren, ob der Hausherr nach dem dritten Weckerklingeln auch wirklich aufsteht. Und wenn nicht, gibts eine Standpauke. Die liebt Philip besonders. Auch wenn manche Ohrfeige ihre feuerroten Spuren auf seiner Wange hinterlässt.

Früher mussten die Alten sinnlos Kuchen in sich hineinstopfen oder füllten dauernd das Schnapsglas nach. Heute hat ihr Leben wieder einen Sinn.

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