die wahrheit: Annie, das Tönnchen
Schotten haben es nicht leicht. Sie werden nicht mal von den Engländern verstanden.
Schotten haben es nicht leicht. Sie werden nicht mal von den Engländern verstanden. Das Außenministerium in London findet die Sprache offenbar so abwegig, dass es den Antrag einer Russin ablehnte, die sich in Schottland für einen Sprachkurs beworben hatte. Das sei reine Zeitverschwendung, befand ein Ministerialbeamter: "Sie können nicht ausreichend begründen, warum Sie ausgerechnet in Schottland einen Englischkurs belegen wollen - statt in Oxford oder Cambridge, wo Sie weniger Schwierigkeiten hätten, den regionalen Dialekt zu verstehen."
Selbst unter Schotten ist die Verständigung nicht immer einfach. In Cromarty, einem Hafenstädtchen in den Highlands, war früher ein Fischer-Dialekt weit verbreitet. Heutzutage wird er nur noch von zwei Brüdern gesprochen. So ist die Auswahl ihrer Gesprächspartner äußerst begrenzt. Da beide bereits über 80 sind, will das Kulturarchiv der Highlands den Dialekt geschwind aufzeichnen, damit spätere Generationen noch darüber staunen können. Statt "good" sagen die Brüder zum Beispiel "geed", und "school" heißt bei ihnen "skeel". Außerdem streuen sie gern den Buchstaben "h" ein, lassen ihn dafür bei anderen Worten, denen er eigentlich zustünde, bisweilen weg, so dass die H-Anzahl insgesamt gesehen wieder stimmt. Aus "House" wird beispielsweise "oos", der Mädchenname "Annie" aber wird zu "Hanni".
Annie taucht auch in schottischen Gerichten auf, meist wird sie als Tönnchen verunglimpft: "Barrel Annie." Das beruht auf einem Missverständnis. Gemeint ist Barlinnie, ein Vorort von Glasgow mit dem größten Gefängnis Großbritanniens. Das schottische Justizministerium hat die Abschrift der Verhandlungsprotokolle vor drei Jahren einer Privatfirma übergeben, und zwar der Mendip Media Group aus Devon im Südwesten Englands. Nur Cornwall ist noch weiter von Schottland entfernt.
Seitdem herrscht in schottischen Gerichtssälen das Chaos, denn die englischen Gerichtsschreiber verstehen nur Bahnhof. Aus "libelled" (verleumdet) machen sie "liable" (haftpflichtig), aus "fanciful" (abstrus) wird "fanciable" (attraktiv), was bei Berufungsprozessen, in denen Richter die alten Prozessakten nutzen, überraschende Urteile auslösen und manchen Angeklagten zu Barrel Annie führen kann. "Die Protokolle sind fürchterlich", findet auch der Anwalt Donald Findlay. "Die Leute haben keine Ahnung von schottischer Geografie, sie erfinden verblüffende phonetische Übertragungen von Ortsnamen." Mendip behauptet, dass die "entsetzliche Qualität der Tonbandaufnahmen" in den Gerichten schuld an der Verwirrung sei. Man werde demnächst jedoch ein paar Schotten einstellen, die aus den Tonaufzeichnungen vielleicht schlau werden.
Der britische Premierminister Gordon Brown ist auch Schotte, aber er spricht wie die Queen, als ob er Murmeln im Mund hat. Dass er weder von Engländern, noch von Schotten verstanden wird, liegt an seiner Politik.
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