die wahrheit: Der Weltnichtwählertag
Neues vor der Europawahl: Schockfotos auf den Stimmzetteln warnen die Wähler.
Václav Klaus kann jubeln! Der Pan Tau vom Prager Hradschin hat im letzten Augenblick einen Trumpf aus dem Hut gezaubert, der die Blicke der Europapolitiker wie die des Kaninchens vor der Schlange erstarren lassen dürfte. Mit einer einstweiligen Verfügung beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg hat er für den morgigen Sonntag, den global begangenen Weltnichtwählertag, der zufällig auch in vielen Ländern der Tag der Europawahl sein wird, strenge Auflagen durchgesetzt. So müssen auf allen Wahlscheinen in den Kabinen neben die Felder mit den kandidierenden Parteien Warnhinweise eingelassen werden, die den bis dahin wahlbereiten Europäern die verheerenden Langzeitfolgen ihres Tuns vor Augen führen - und das von Lissabon bis Reval. Das reicht von verstümmelten Fingergliedern infolge ungeschickten Wählens bis hin zu schockierenden Kreuzigungsszenen. Die genaue Ausgestaltung bleibt den Wahlleitern in den jeweiligen Mitgliedsländern überlassen. Am schnellsten hat Italien reagiert und die von Ministerpräsident Berlusconi bei seinen Kindergeburtstagen aufgenommenen Gruppenbilder zu einer ganzen Galerie zusammenstellen lassen, die sich über den gesamten Wahlschein erstrecken. Dazwischen passt kein Croce mehr, geschweige denn eine Stimme gegen den Cavaliere.
In Deutschland war die Aufregung zunächst groß. Dann aber kam die SPD als Erste mit Bildern aus der Baracke, auf denen die Drogenbeauftragte Sabine Bätzing peitscheschwingend auf einem Haufen Raucherleibern der Bundestagsfraktion zu sehen ist. Erbarmungslos saust ihr Morgenstern auf die Kettenraucher Peter Struck und Franz Müntefering hernieder - und das mit einem Blick, der zwischen Guantánamo, Gauloises und geheimer Stimmabgabe keinen Unterschied mehr macht.
Die Grünen haben erneut ihre Allzweckwaffe Claudia Roth ins Bild geschoben. Neben der Parole WUMS! erfährt man nun endlich die ganze Wahrheit dieser Wortschöpfung: "Wehende Umhänge machen Spaß!" - und so weiß nun der potienziell grüne Wähler endlich einmal haarklein, was ihm nach einer Machtergreifung drohen könnte.
Bei der FDP hätte eigentlich ein knapper Auszug aus dem Parteiprogramm in schriftlicher Form genügt, um die Tinte des Wahlstifts gefrieren zu lassen. Aber man hat sich dann lieber doch für die Darstellung Guido Westerwelles als Tyrannosaurus Rex entschieden, der vorne alles zermalmt, was ihm vor den Rachen kommt, und hinten raus unentwegt Eier legt. Jedes Ei steht für eine Null in den Aberbilliarden vernichteter Bankbilanzen und aus jedem schlüpft wieder ein neuer Infant hervor, ein neues Tyrannosaurus Rexchen, dem schuppigen Ziehvater bereits verblüffend ähnlich.
Die CDU konnte ebenfalls aus einem breiten Fundus bewährter Bilder wählen: zwischen einem Schnappschuss aus Karl-Heinz Schreibers Fotoalbum, das ihn bei einer Geldübergabe zusammen mit Wolfgang Schäuble zeigt, einer Whirlpoolszene in den jüdischen Vermächtnissen der Hessen-CDU im Privatbad derer zu Sayn-Wittgenstein und einem Einschulungsfoto von Wissenschaftsministerin Annette Schavan, auf dem sie die Schultüte falsch herum hält. Am Ende entschied man sich aber für eine Morgenaufnahme des unbekleideten Roland Koch beim Rasieren mit dem Rasenmäher.
Nicht ganz so spaßfrei lässt die CSU Einblicke in ihr Innenleben zu. Der geringe Milchpreis machte es möglich: Leicht von Milchscheiben getrübt kann man in den Seehoferschen Privatharem blicken, in dem alle prominenten CSU-Frauen von der Haderthauerin bis Monika Hohlmeyer versammelt sind. Selbst Gabriele Pauli ist noch dabei. Was dann auch prima zur Wahlschreckplattform der Freien Wähler passt, die den Gegenharem der Renegatin und früheren Fürther Landrätin präsentiert. Denn hier ist genau wer zu Besuch?: Na klar, der Horst!
Der Linken kam in letzter Minute das Foto einer prominenten Wasserleiche aus der Pathologie der Berliner Charité entgegen. Sie soll noch aus der Frühzeit der Weimarer Republik stammen und zeigt daher die ganzen Risiken auf, mit denen die Wähler wie die Kandidat(inn)en rechnen müssen, wenn sie sich auf die Spielregeln des Parlamentarismus einlassen.
In Frankreich hat man eine andere Schockmethode ausgewählt. Hier wird der umtriebige Staatspräsident persönlich vor jeder Wahlkabine auftauchen, um die Franzosen aus den Kabinen in die Flucht zu treiben. Aber das kann natürlich für den Auslöser der ganzen Maßnahmen kein Vorbild sein. Václav Klaus wird wie immer behäbig vor seinen geliebten Knödeln und dem Fassbier aus Ceské Budejovice sitzen, seinen Hut ein Stückchen weiterdrehen und schon den nächsten Schabernack aushecken: den Anschluss Bayerns ans Sudetenland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge