die wahrheit: Der homosexuelle Mann...
... verliest gerne Nachrichten - vor dem Mikro, vor der Kamera, portionierte Neuigkeiten, seriös präsentiert. Der Anteil schwuler Nachrichtensprecher...
... ist erstaunlich hoch, gefühlte 90 Prozent. Damit bekommt das Klischee, Schwule können sich nur auf Showtreppen, in schrillen Outfits oder als Komiker im öffentlichen Raum bewegen, einen Riss. Auch der Hang zu grauen Anzügen, Krawatten in gedeckten Farben und gepflegten Kurzhaarfrisuren entspricht offensichtlich ihrer besonderen Natur. Jeder optischen Spielerei müssen sie sich enthalten, nichts ist ihnen erlaubt, was den Zuschauer ablenken könnte vom gesprochenen Wort. Einzig die überbrachte Nachricht steht im Vordergrund, ihr Überbringer tritt dahinter diskret zurück. Die prominentesten schwulen Vertreter dieses Metiers sind immer noch Werner Veigel und Wilhelm Wieben, beide dereinst Stars des Prototyps aller TV-Nachrichten, der "Tagesschau".
So viel eintöniges Augenfutter - und das aus schwuler Hand! Gespannt durfte man sein, als Timm-TV an den Start ging, der Nation erstes bundesweites Fernsehprogramm für Schwule. Wie sehen da die Nachrichten aus? Wie nutzt man am explizit anderen Ort die Kernkompetenz schwuler Medienprofession? Sind die Sprecher in Leder gekleidet? Werden die spröden Texte gesungen? Wird die Wettervorhersage getanzt? Nichts von alledem, ein Blick auf Timm Today ernüchtert.
Doch einiges ist hier schon anders: Natürlich trägt Moderator Björn Wolfram keine Krawatte, so viel Stilbruch darf sein. Aber seine Jacketts sind genau so grau wie anderswo, nur darunter verstecken sich T-Shirts in abenteuerlichen Farben und Mustern. Ansonsten steht Wolfram ungelenk in pseudofuturistischer Dekoration, kein Tisch hält ihn fest, und blickt starr auf bunte Textkärtchen, öfter als in die Kamera. Das Grauen aber sind die Nachrichten selbst, illustriert mit Bilderteppichen, die nur entfernt mit den gesprochenen Inhalten zu tun haben. Der proklamierte schwule Blickwinkel wird mühsam herbeigeredet. So mündete in der vergangenen Woche der Besuch von Barack Obama in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald in der Nachricht, dass der US-Präsident dabei nicht die homosexuellen KZ-Opfer erwähnt habe. Der große Rest ist überflüssiges Geschwätz aus der vermeintlichen Welt der Homosexuellen: Elizabeth Taylor twittert, Barbra Streisand veröffentlicht ein Buch über Inneneinrichtung, Nina Queer ist bei "Germanys Next Showstars" ausgeschieden.
Vielleicht gibt es nicht täglich Nachrichten von schwulem Belang, und offensichtlich lässt sich nicht jede Aktualität aus schwuler Perspektive betrachten. Aber warum, wenn man sich schon den Luxus eines eigenen Programms leistet, macht man sich nicht die Mühe und berichtet seriös und umfassend über das, was in Politik und Wirtschaft, Sport und Kultur tatsächlich von besonderem Interesse für die Zielgruppe ist? So jedenfalls ist jede Chance vertan, seine Zuschauer ernst zu nehmen und sie professionell zu bedienen. Da wünscht man sich doch die Krawattenmänner zurück.
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