die wahrheit: "Träööööt quäck quäck"
Zumutungen der Arbeitszeit: Der musikalische Alleinunterhalter.
Ein Urlaub an der mecklenburgischen Ostseeküste könnte so schön sein. Viel Sonne, kühlende Winde, stille Schilflandschaften und laute Strandpartys. Mediterranes Lebensgefühl und das unvergleichliche Licht der nordischen Sommerabende. Das ließe sich aushalten.
Doch dann fallen sie in Schwärmen ein und quälen uns, wo immer sie uns entdecken, in Cafés und an den Strandpromenaden, in den Restaurants und Eisdielen, in den Kurhotels und Kasinos. Es gibt kein Entkommen. Ohne Gnade zerstören sie jeden Anflug von Behaglichkeit und guter Laune und machen uns den Urlaub zur Hölle. Nicht die Rapskäfer, Strandflöhe, Herren in Sandalen oder Damen in Leggins sind gemeint, all dies wäre mit ein wenig Gelassenheit zu ertragen. Es sind die Alleinunterhalter, die unsere wohlverdienten Ferien in die Tonne tröten.
Vom Fünfsterne-Hotel-Manager bis zum drittklassigen Tiefkühlfischauftauer, der seinen Laden "Restaurant" nennt, engagiert jeder Gastronom einen Alleinunterhalter, damit er die vermeintlich verkaufsfördernden Worte "mit Live-Musik" auf seine Speisekarte und Reklamezettel schreiben darf, in dem irrigen, ja irrwitzigen Glauben, seine Gäste wollten beim Flanieren und Abendessen in einer Endlosschleife die sieben fürchterlichsten kompositorischen Fehltritte der Musikgeschichte hören - Platz eins und zwei sind besetzt von "Wahnsinn" und "Life Is Life".
Selbst diese scheußlichen Sieben - Platz drei und vier heißen: "Hey Baby" von DJ Ötzi und "Ooh La Paloma Blanca" - wären noch mit Humor zu ertragen, würden sie nicht mit dem widerwärtigsten aller klangerzeugenden Geräte dargeboten, die jemals ein Mensch Instrument genannt hat, dem Alleinunterhalter-Keyboard. Das digitale Keyboard kann alles perfekt, was jemals in der Musik dargeboten wurde, vom hochkomplizierten brasilianischen Mamborhythmus bis zum Klangbild der wohltemperierten Frühbarockharfe oder des Graubündner Alphorns. Nur klingt das alles haargenau gleich: "Träöööööt quäck quäck".
Der von modernster Keyboardtechnick produzierte Sound ist eines der tristesten Kapitel der Musikgeschichte, das sich auf eine Formel bringen lässt: Je aufwendiger die Technik, desto grässlicher der Klang. Mit atemberaubender Treffsicherheit schafft es der Alleinunterhalter immer wieder, von den 10 hoch 33 Soundoptionen die gruseligste zu finden. Das ist die absolute Klangkatastrophe, denkt man, bis er anfängt zu singen.
Dabei war der Alleinunterhalter nicht immer eine ästhetische Plage. Seine Urahnen, fahrende Zither- und Lautenspieler, waren im Volke wohlgelitten. Sparsam setzten sie ihre Instrumente ein zur Unterstützung gesungener und erzählter Geschichten, und das Volk hing ihnen an Lippen und Saiten. Noch die frühen elektrischen Orgeln klangen beseelt, selbst ihre Namen schmeichelten dem Ohr: Wurlitzer, Farfisa, Hammond. Heute heißt alles Yamaha und Platz fünf übrigens: "The Girl From Ipanema".
Dabei gibt es noch Vertreter der altmodischen Form der Alleinunterhaltung wie Straßenmusiker und andere veritable Könner, deren Liedern zu lauschen sogar Freude bereiten kann. In grotesker Verkennung ästhetischer und musikalischer Maßstäbe hat sich jedoch an der Ostsee der auf 99-Cent-Laden-Niveau dilettierende Alleinunterhalter die akustische Hoheit über die Strandpromenaden verschafft - nach dem Motto: Warum bei einem Sternekoch essen, wenn es McDonalds gibt.
Doch es wäre ungerecht, die ästhetische Katastrophe des Alleinunterhalterunwesens allein dem Alleinunterhalter unter die Pedale zu schieben. Er ist eine tragische Figur, ein Spielball allgemeiner ästhetischer Verirrung und Verwahrlosung. Sein Auftraggeber zwingt ihn, bis zum Erbrechen die grässlichen sieben zu wiederholen, besonders gern Platz sechs: "Griechischer Wein".
Er soll die Gäste nicht mit unbekannten Melodien oder Rhythmen konfrontieren, er soll für Stimmung sorgen, sagt der Hotelmanager, aber er sagt nicht, für welche: Fröhliche? Depressive? Aggressive? Die beiden Letzteren erzeugt er jedenfalls bei Menschen, deren musikalische Urteilskraft noch nicht völlig im Brei der penetranten täglichen Gebrauchsmusik versumpft ist.
Bleibt die Flucht nach Osten. In Polen soll es ja viele gut ausgebildete Musiker geben, sagt man. Es stimmt. Die Alleinunterhalter sind hier zu zweit, dem unvermeidlichen Keyboarder steht hier eine professionell ausgebildete Sängerin in hyperfolkloristischer Tracht zur Seite. Doch der Erleichterung folgt die Tristesse. Der am Konservatorium promovierte Pianist entlockt dem Keyboard nur das schon leidlich vertraute "Träöööööt quäck quäck". Und auch hier sind sie zu Hause, die scheußlichen sieben, auf deren letztem Platz "The Final Countdown" landet. Allerdings ist es noch ein Spur trister, wenn dieser Müll von musikalischen Menschen vorgetragen wird. Es ist eine Form der ästhetischen Prostitution, die einen frösteln lässt in einer Welt, in der Könner sich wie Stümper aufführen müssen, um zu überleben.
Den Rest meines Sommerurlaubs verbringe ich unter Straßenmusikern in der Pariser Metro.
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