die wahrheit: Lizenz zum Frankieren
Erlebniswelt Post. Neue attraktive Läden ersetzen die grauen Ämter. Enrico Gualtieri hat die Ruhe weg. Der 38-jährige Italiener hantiert geschäftig hinter dem Tresen...
...belädt mit der Rechten seine chromglänzende Aufbackstation mit einem Blech Schoko-Croissants, während er mit links einen Kompaktbrief auf die Waage legt. Über zu wenig Arbeit kann sich der umtriebige Familienvater nicht beklagen, sein Post-Café Portofino in der Münchner Theresienstraße ist immer gut besucht.
Der Mail-, Express-, Logistics- und Financedienstleister Deutsche Post World Net hat es geschafft, den vor sich hin dümpelnden Postdampfer für eine erlebnishungrige Generation zu öffnen und das Angebot rund um die Versandlogistik attraktiver zu gestalten. Vorbei die Zeiten, als der Besuch einer Postfiliale einem lästigen Behördengang glich. Von zehn Schaltern maximal drei geöffnet.
Aschgraue Postbeamte, die mit stoischem Ernst den Stempel schwangen. Hier herrschte ganz klar Handlungsbedarf, und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Vorbildlich verwirklicht sind die neuen Ziele in Gualtieris Erlebnis-Post - im Portofino ist Leben in der Bude, hier vermählt sich postalische Effizienz mit mediterranem Lebensgefühl.
Und wenn Enrico auch manchmal in der Hitze des Gefechts Kaffee auf zu frankierende Briefsendungen verschüttet, so hat dies doch immerhin den Vorteil, dass er in der Kaffeelache gleich mal die Briefmarken anfeuchten kann. Die Kundschaft jedenfalls schätzt die unkomplizierte Wohlfühlatmosphäre des Portofino und die zupackende Art ihres Chefs.
Wo das Geschäft brummt, sind die Neider nicht fern - und Nachahmer jeglicher Provenienz versuchen, mit mehr oder weniger aussichtsreichen Geschäftsmodellen an den Erfolg des Vorreiters anzuknüpfen. Was natürlich nicht immer gelingt. So war das ambitionierte Projekt des Lörracher Friseurs Claudio Hemmerle, im Rahmen seines Friseursalons Hair Mail auch postalische Dienstleistungen zu erbringen, nur teilweise von Erfolg "gekrönt".
Als schwierig erwies sich etwa der fliegende Wechsel vom Friseurstuhl zum Posttresen: Mal wurde Hemmerle mitten in der Haarfärbprozedur mit dem Kundenwunsch konfrontiert, einen Maxibrief International ausschließlich mit Sondermarken zu frankieren, ein andermal setzte der Maestro nach der Abfertigung eines Postkunden den unterbrochenen Haarschnitt mit der Paketschere fort, dann wieder wirbelte der unachtsamerweise in Richtung Posttresen gehaltene Fön die sorgfältig sortierten Formulare durcheinander. Kurz, ein Fiasko - nach einem Dreivierteljahr Schneiden und Stempeln war das gutgemeinte Nischenprojekt Hair Mail sanft entschlafen.
Nicht viel anders erging es Üzgür Cavadoglu. Der 43-Jährige war von dem Angebot der Deutschen Post, in seiner Dönerbude am Stadtrand von Herne einen Postschalter einzurichten, sofort begeistert. Warum die Zeit neben dem rotierenden Fleischspieß nicht sinnvoll nutzen, dachte sich der geschäftstüchtige Deutschtürke, in den Stunden vor und nach der Mittagspause herrscht im Laden sowieso tote Hose.
Da konnte er ebenso gut Paketmarken kleben oder Einschreiben mit Rückschein ausstellen. Doch die Realität holte den routinierten Dönerbrater schnell ein. Das Angebot der Deutschen Post ist eben weitaus komplexer als die Zusammenstellung eines leckeren Döner Kebabs, bei dem es außer Zwiebelringen, Paprika oder Joghurtsauce keine Extras gibt.
"Allein schon die Päckchen", stöhnt Cavadoglu und verdreht die Augen, "einfaches Päckchen, DHL Pluspäckchen, Premiumpäckchen, DHL Päckchenmarke Dreierpack, DHL Packset in Größe S oder M, aber international Pluspäckchen nur in Größe M, Nachsendeservice gilt nur im Inland, Vorausverfügung bei internationalem Versand nicht vergessen."
Es war einfach zu viel für den gutmütigen Üzgür. ",Tankwart, bleib bei deiner Zapfpistole!', heißt ein altes anatolisches Sprichwort - und so hab ich wieder aufgehört mit Post. Möchten Sie Döner mit scharf? Geht auf Haus!"
Wobei Üzgür Cavadoglu froh sein kein, so ungeschoren aus dem perfiden Versandlösungssystem des global agierenden Logistik-Dienstleisters herausgekommen zu sein. Dieses Glück hatte Wendelin Wiedeking nicht. Der ehemalige Porsche-Chef hatte versucht, sich nach seinem unrühmlichen Abgang aus Zuffenhausen eine neue Existenz aufzubauen.
Der bekennende Autofreak entschied sich für eine Autowaschstraße mit angegliederter Drive-in-Post. Anfangs brummte der Laden, jeder wollte Wiedeking im Blaumann arbeiten sehen und sich vom berühmten Chef persönlich die Briefe abstempeln lassen. Doch dann passierte es. Nachts platzte die Wasserleitung und setzte den kompletten Postbereich unter Wasser. Ergebnis: Alle Sendungen durchnässt und zerstört, sämtliche Briefmarken unbrauchbar, alle Packsets - die praktische und stabile Kartonverpackung inklusive Klebestreifen - dümpelten aufgeweicht in der brackigen Brühe.
Der Imageschaden war enorm. Die Deutsche Post entzog dem unfähigen Manager daraufhin die Lizenz zum Frankieren. Wiedekings Traum einer Post-Karriere hatte ein jähes Ende gefunden.
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