die wahrheit: Der Astabsteiger
Heruntergekommene Berufe - heute: Der Räuberhauptmann.
Wer das zweifelhafte Vergnügen hat, täglich den Polizeiticker zu verfolgen, kann sich um eine ernüchternde Erkenntnis nicht herumdrücken: Nach TV-Redakteuren, Medizinern, Architekten, Designern, FDP-Vorsitzenden und Finanzdienstleistern ist auch das altehrwürdige Gewerbe des Räuberhauptmanns auf dem absteigenden Ast gelandet.
Die Aura des vogelfreien, stets auf dem schmalen Grad zwischen Genie und Wahnsinn, Sozialrebellentum und Abgefeimtheit tänzelnden Äquilibristen endet wie alle romantische Lebensäußerung im spätkapitalistischen Zwangsnirwana auf dem Friedhof der Gewöhnlichkeit, dort, wo Kleinmut und Peinlichkeit, Raffgier und moralische Verderbtheit an modernden Gebeinen nagen. Den Grabstein der Innung ziert ein Spruch aus Dantes Inferno, Kapitel 3, Vers 9: "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!"
En détail liest sich der deprimierende Befund dann so: Am 20. 8. 2009 stießen zwei Unbekannte eine 54 Jahre alte Frau von ihrem Rad und flüchteten mit ihrer im Fahradkorb liegenden Handtasche. Drei Tage später plünderten in Hannoversch-Münden drei Männer ein Fachgeschäft für Tiernahrung. Beute zehn Euro. Vier Tage zuvor stiegen Unbekannte an der Bundesstraße 3 südlich von Celle in einen Imbisswagen ein. Ertrag: rohe Brühwürste, Brathähne, Spirituosen und drei Kästen Bier.
Heruntergekommener gehts nicht. Das ist Stückwerk, Mundraub, dilettantische Kleingaunerei ohne Esprit und Visionen. Rinaldo Rinaldini, Arsène Lupin, die Brüder Sass und James, sie alle drehen sich im Grabe um.
1781 brachte Friedrich Schiller das Idealische des Räuberwesen folgendermaßen auf den Punkt. "Man trifft hier Bösewichter an, die Erstaunen abzwingen, ehrwürdige Missetäter, Ungeheuer mit Majestät, Geister, die das abscheuliche Laster reizet um der Größe willen, die ihm anhänget, um der Kraft willen, die es erfordert, um der Gefahren willen, die es begleiten." Mag sein, mahnte das materialistische Denken.
Aber vergessen wir nicht das ureigentliche Movens des Räubers: die Aussicht auf Zugewinn. Diese befeuerte einstmals Beutelschneider, Wegelagerer, Bank- und Zugräuber mit Format. Schließlich bedeutet Geld nichts weniger als "gepresste und getrocknete Freiheit". Dies treffliche Aperçu Arno Schmidts gehört in eine Reihe mit Honoré de Balzacs Diktum "Hinter jedem großen Vermögen steht ein Verbrecher" oder Brechts berühmtem Bonmot: "Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank."
Keiner der zitierten Herren würde allerdings leugnen, dass der größte Profiteur menschlicher Niedertracht und damit auch der Räuberei die Kunst selber war. Das steht schon bei Sartre: "Ein Kunstwerk ist ein Traum von Mord, der durch eine Tat verwirklicht wird." Und beruht, dessen war sich der Film-noir-Veteran John Cassavetes ziemlich sicher, auf Gegenseitigkeit: "Gangster sind Vollidioten, die davon profitieren, dass wir über sie Filme machen."
Nun ist Hasardeuren wie Lester Joseph Gillis alias Babyface Nelson ein gerüttelt Maß an Hochbeklopptheit nicht abzusprechen. 1934, ein paar Monate nach dem gewaltsamen und gerade neu verfilmten Ende seines Arbeitsgebers John Dillinger stürmte Gilles ohne Not und ohne Deckung auf einen Wagen voller FBI-Agenten zu und beendete sein kurzes Leben als menschliches Sieb. Aber die "Battle of Barrington" besaß noch etwas von der Schillerschen Größe und Ehrwürdigkeit.
Das gilt auch für Charles E. Bolles, besser bekannt als Black Beard. Der selbst ernannte "Po 8" (Po Eight = Poet) beraubte zwischen 1875 und 1888 im Calaveras County, Kalifornien, im Alleingang 28 Postkutschen aus und ließ am Tatort todtraurige Gedichte zurück.
Oder für die Abenteuer des großen Saufaus, Haudraufs und Straßenräubers Sir John Falstaff, dessen Prahlereien nach einem Überfall Shakespeare mit sichtlichem Vergnügen ausmalt. Nicht zu reden von Sozialrebellen wie dem bayrischen Wildschützen Matthias "Hiasl" Klostermayr, der die Obrigkeiten links und rechts des Lechs so lange piesackte, bis sie ihn 1771 erst aufs Rad flochten, dann seine Beine brachen, seinen Kopf abschlugen, die Gedärme herausrissen und was noch übrig war, von vier Kaltblütern in alle Himmelsrichtungen verteilen ließen.
In seinen viel zu großen Fußstapfen irren heutzutage Hartz-IV-Empfänger und verwahrloste Rentnerinnen herum, wie jene bemitleidenswerte 71-Jährige, die in Aarau kurz hinter der Schweizer Grenze eine Bank überfiel und alles Bare einsackte. Das war zu viel für die alte Dame. Laut der Neuen Mittelland Zeitung "wurde die Flucht mit der schweren Beute von einem Hexenschuss vereitelt. Die Rentnerin wurde verhaftet."
Dagegen hatte eine Münchner Seniorin den Eindruck, den ihre Waffe auf den Banker machen würde, deutlich überschätzt: Als sie "Überfall, Geld her!" schreiend in den Kassenraum stürmte, bekam der Kassierer einen Lachanfall. Die Oma "hatte eine ,geladene' Stöpselpistole im Anschlag!" (Münchner Abendzeitung). - O tempora, o mores.
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