die wahrheit: Ordos muss nicht sein
Am Schluss meiner Reise in die Innere Mongolei wollte ich das Grab von Dschingis Kahn besuchen, das südlich der Stadt Dongsheng liegt...
...Der berühmteste Mongole aller Zeiten liegt hier zwar nicht wirklich begraben, aber - wie es heißt - immerhin seine Seele. Weil wir das Grab an einem Tag nicht erreichen konnten, beschlossen wir in Dongsheng zu übernachten.
Wir hätten es nicht schlechter treffen können. Aber erst einmal machten wir große Augen. Mitten in der Steppe hatte man Stadtviertel wie aus einem Science-Fiction-Roman hochgezogen, und der Busbahnhof sah aus wie ein Flughafenterminal. Hier erfuhren wir auch, dass es die Stadt Dongsheng eigentlich gar nicht mehr gibt. Im Jahr 2001 war aus ihr ein Stadtbezirk der Megacity Ordos geworden, die mit 86.752 km(2) größer ist als Österreich.
Diese Zahl las ich allerdings erst später, auch, dass Ordos aufgrund seiner vielen Bodenschätze die Stadt mit dem zweithöchsten Pro-Kopf-Einkommen Chinas ist. Das war jedoch nicht zu übersehen. Die letzten Reste der alten Stadt wurden gerade abgerissen, und die neuen Viertel wirkten wie geleckt.
Zunächst sahen wir das mit Wohlgefallen. Es gibt wahrlich genug hässliche chinesische Städte. Doch dann wurde uns immer mulmiger. Durch die Stadt patrouillierten so viele Polizeiwagen wie in keiner anderen chinesischen Stadt, auf jeder Straßenkreuzung stand ein Polizist, und eines der imposantesten Gebäude in der Stadt war das Polizeipräsidium. Auch die Leute auf der Straße machten einen seltsamen Eindruck. Niemand ging bei Rot über die Straße, und als es ein Mann doch wagen wollte, hörte die Dolmetscherin seine Gattin sagen: "Schatz, wir wollen uns doch an die Regeln halten." Ich konnte es nicht fassen. In China sind Regeln gewöhnlich dazu da, gebrochen zu werden, und Fußgängerampeln dienen der Volksbelustigung.
Das Schlimmste aber stand uns noch bevor. Als wir wie üblich gemeinsam in einem Mittelklassehotel einchecken wollten, wurde uns das verwehrt. "Unser Hotel", säuselte die Rezeptionistin, "ist für die Unterbringung von Ausländern nicht qualifiziert." Wir müssten eins der teuren Science-Fiction-Hotels nehmen. Als ich erwiderte, dass das Rassismus sei, dem ich mich nicht beugen würde, holte sie die Polizei. Der Polizist sagte mir, es gäbe in der Stadt Ordos eine Bestimmung, dass Ausländer in Hotels dieses schlechten Standards nicht wohnen dürften. Das geschähe nur zu meinem eigenen Schutz. Vor was oder wem man mich schützen wollte, konnte er nicht erklären. Aber weil er ja der Schutzmann war, gab ich das Wortgefecht mit ihm nach einer Stunde auf.
Wir kamen dann doch noch in einem Hotel unter, wo sich der Guerilla-Hotelier nicht um die Bestimmungen kümmerte. Am nächsten Morgen besuchten wir Dschingis Kahn. Vor seinem Grab ertappte ich mich dabei, wie ich plötzlich redete: "Komm, großer Kahn, aus deiner Gruft, und wüte doch ein bisschen mit deiner wilden Horde in diesem oberaufgeräumten Ordos." Danach verließen wir die ungastliche Riesenstadt auf dem Fuße.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett