die wahrheit: Neues aus Neuseeland
Der beste Kommunist geht fischen.
Zu Weihnachten bekam ich ein dickes Buch geschenkt. "Der letzte Kommunist" von Matthias Frings, über Schreiben, Vögeln und Sterben des genialen Ronald M. Schernikau. Als ich dazu komme, es zu lesen, geht der Hochsommer zu Ende, und wir fahren für eine Woche als Pioniere an die Westküste. Insektenspray, Gummistiefel, Schaufeln, Konserven, Macheten - alles dabei. Wild ist es dort, wo die Sonne versinkt. Keine Strandpromenaden, keine Hotels, aber viele Sandfliegen. Wir werden unser Land roden. Wild war auch das Leben des Westberliners, der in die DDR zog. Es passt alles zueinander.
Neuseeland, das sei "Borneo mit bestem Benehmen" - so das Urteil von Duncan Fallowell, dem britischen Grandseigneur des Dandytums. Er und die Diva Schernikau hätten sich verstanden. Fallowell kam nie bis an die Westküste. Dort ist es wie in Borneo, aber mit schlechtem Benehmen. Wer zwischen Westport und Greymouth säuft, tut es nicht einen Abend, sondern eine Woche lang. "Going on the piss" nennt sich der Zustand, der am besten in einer kleinen windschiefen Hütte mit Blick auf die Brandung kuriert wird. Wer nicht säuft, baut Gras an. Wer kein Gras mehr hat, geht fischen. Wer nicht fischt, schießt wilde Ziegen. Was dem Bildungsberliner seine Bücherwand, ist dem anarchistischen Küstenmenschen seine Buschmesser-Sammlung.
Im Wald hoch überm Meer steht unser House Truck. Es ist ein weinroter Bedford-Laster, Baujahr 1956, auf den Jahre später ein monströses Hexenhaus mit Dachschindeln gesetzt wurde. Drinnen steht ein Bollerofen. Die Schlafkojen sind aus Holz. Es ist ein Hippie-Wohnmobil, das es mit Ach und Krach von Christchurch über den Pass geschafft und jetzt für immer ein sicheres Plätzchen hat, wenn auch kein trockenes, denn an der Westküste peitscht oft der Regen um die Nikau-Palmen. Wasser holen wir uns aus dem Creek. Possums treiben sich dort herum.
Wenn ich einschlafe und aufwache, meistens vom sanften Federn des Hauslasters, greife ich zum "letzten Kommunisten". Dann bin ich tief in den Achtzigern: Kreuzberger Trümmertunten, K-Gruppen und Aids-Aktivisten. Steigt die Sonne höher, greife ich zum Spaten. Kompostklo buddeln, Bäume fällen, Miesmuscheln ernten. Dann in die Wellen. Manche Abenteuer finden im Kopf statt. Andere, wenn gegen diesen das Surfbrett knallt. Brutale Natur. Herzlose Mauer. Farngestrüpp. Großstadtpflanzen. Zwei Galaxien der Extreme.
Abends bringt unser Nachbar, der Buschmann im zerlöcherten Hemd, frisch gefangenen Fisch. Wir machen ein Feuer. Es brennt auch ohne Barrikaden. Radikal geht so oder so. Der Buschmann zapft für das wenige Licht in seiner Hütte den Strommast an der Straße an. Als das Kompostklo fertig ist, hat es einen geflochtenen Sichtschutz aus Flachs. Auch das wunderbare Buch ist zu Ende. Ich trauere kurz um den nie gekannten Schriftsteller RMS. Es geht zurück in die Zivilisation. Für meinen nächsten Besuch auf dem Freiluft-WC im Busch brauche ich neue Lektüre. Ich könnte es mit "Der gebrauchte Jude" von Maxim Biller versuchen.
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