die wahrheit: Dichter unter Diktatoren
An der Lyrikfront agiert Durs Grünbein mit Nachdruck. Worüber der Großpoet gerade grübelt und was er von Diktatoren und Tyrannen hält, legt er in einem Brief dar.
Im neuesten Spiegel erklärt der Dichter Durs Grünbein den lebenden und toten Diktatoren und Tyrannen in einem offenen Brief seine Sicht der Dinge: "Ich bin Dichter, und als solcher wird man hin und wieder nach seiner politischen Meinung gefragt." Er hält sich für ein "Auskunftsbüro" in Sachen "Weltanschauung" und verrät mit diesem Wort aus dem DDR-Weltanschauungsbetrieb, wo er intellektuell stehen geblieben ist, trotz des Nachhilfeunterrichts in Demokratie.
Auf vier Seiten begründet er die Vorzüge eines "gepflegten Mehrparteiensystems mit freien und geheimen Wahlen" gegenüber diktatorischen und tyrannischen Einrichtungen. Das ist ungefähr so spannend und erkenntnisfördernd, wie wenn der Dichter Wasser in die Elbe schüttete. Noch vor der Mitte des Textes ahnt der Autor, dass er mit seiner Lobrede auf die Demokratie wie mit seiner Verachtung für die "orientalische Despotie" beim Leser "ein gewisses Gähnen" verursacht, um dann nach fast drei Seiten "endlich zur Sache" zu kommen: Er hegt Bewunderung für die "tückische Lyrik" und für die "blumigblutige Zweitsprache" der Despoten und bekennt sein "heimliches Entzücken an den poetischen Ungeheuerlichkeiten". Während Mescaleros "klammheimliche Freude" über den Buback-Tod seinerzeit noch eine Provokation war, ist Grünbeins Imitation ein plumpes Plagiat.
Aber das kennt man ja vom Dichter Grünbein, der sich als "Mäuschen" in die Toiletten und an die Tafeln der Diktatoren fantasiert, um deren Kommentare zum Weltgeschehen zu hören. Und was - vermutet er - kriegt er dort zu hören? "Passagen aus Nietzsches ,Zarathustra' und lupenreinen Machiavelli". Nur total graue Mäuschen stellen sich Diktatoren so vor.
Selbstverständlich ist die Lobrede auf die Demokratie nur ironisch gemeint, denn "wir" sind mit der "Moral" am Ende, mit "unserem Latein" sowieso schon lange, und die Menschenrechte sind nur "Geräuschstörung". "Wir" - wer immer das sei - kaufen den Diktatoren die Bodenschätze ab und bieten ihnen Investitionen an: "Partnerschaft korrumpiert alle Moral." Und weil "auch bei uns der Schriftsteller kein Held mehr ist", weiß der Dichter keine Rettung vor dem Untergang des Westens. Dem wievielten?
Einen Rat an den Dichter Grünbein: Lassen Sie das dilettantische Herumfeuilletonieren in Prosa und kehren Sie zum reimenden Gewerbe zurück! Das bringt zwar cash weniger ein als die Gesinnungsepisteln im Spiegel, steigert aber die Ehre.
Als Lyriker war Grünbein fast immer der Luftigste und Windschnittigste. Mitten in die Hitze des Jahrhundertsommers 2006 platzte er mit seinem Gedicht "Klimagipfel". Wenn alle vom Klima reden, sind auch Dichter mit "Weltanschauung" gefragt. Grünbein war damals dem Kopenhagener Klimagipfel um Jahre voraus mit seinem fantastischen Kunststückchen, in dem sich "nackt" auf "Akt" und "Bock" auf "Rock" so wunderschön reimen wie ehedem "Herz" auf "Schmerz" und "Lust" auf "Brust".
Bereits zur Jahrtausendwende, im Heiligen Krieg gegen die Rechtschreibreform, verdiente sich der Poet in Gottfried Benns viel zu großen Schuhen bleibende Meriten mit einer astreinen Mütterzeugung in Prosa. Bei seinem Lobgesang auf die Muttersprache stolperte er geradewegs in den Sumpf von Pathos und Kitsch: "Man vergreift sich nicht an der Mutter. Man spielt nicht mit dem Körper, der einen gezeugt hat." Im Spiegel-Essay nun verrät Grünbein seine neueste Müttererkenntnis: "Wahr ist nur, dass noch jeder Tyrann eine Mutter hatte."
Wozu taugt das "Auskunftsbüro" Grünbein im politischen Nahkampf? Als flinker Handlanger des Zeitgeistes versagt Grünbein: Haiti zerstört - und immer noch kein passendes Gedicht des FAZ-Hauspoeten. Die isländischen Vulkanwolken verflogen und die Flugzeuge wieder in der Luft - aber immer noch kein Poem des Hilfs-Vulkanologen und Warmluftexperten. Griechenland am Boden - und kein einziger Hexameter von Grünbein. Der Bohrturm im Golf von Mexiko abgesoffen, Mensch und Tier ölverschmiert - und immer noch kein triefend-klebriges Sonett aus seinem Reimgenerator. Wie lange noch, o Dichter, wollen Sie unsere Geduld strapazieren?
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