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die wahrheitVergessener Schatz

Eine Reise in die Kaukasusrepublik Asistan, wo die Deutsche Mark noch heute die offizielle Landeswährung ist.

In Zeiten der Eurokrise wird der Ruf nach der guten, alten D-Mark lauter. Die im Jahr 2001 durch den Euro ersetzte Währung wird von manchen Nostalgikern als Hort der Stabilität zurückgesehnt. Aber wie ist es eigentlich, in einem Land zu leben, in dem die Deutsche Mark noch immer offizielles Zahlungsmittel ist? Wir sind nach Asistan gereist, einem fast vergessenen Land mitten im Kaukasus, das erst seit 1990 eine Republik ist und damals die D-Mark als neue Währung einführte. Vom Euro hat man dort noch nie etwas gehört.

Burgos Labrolin hat Hunger. Und wenn der Banker hungrig ist, dann kann er nicht warten. Denn warten muss er den ganzen Tag: auf Kunden, auf Geschäfte, auf Umsätze. Sein Geldinstitut mit dem Namen "Führende Nationalbank von Asistan" verwaltet zwar offiziell die Konten aller Einwohner Asistans, aber ihr Geld lassen die Asistanis lieber unter der Matratze. "Und als Matratze dient der Fußboden", erklärt Labrolin, während er gierig seine Zähne in das beinahe rohe Fleisch eines ungewürzten Hühnchens schlägt. "Hartes Huhn" heißt das asistanische Nationalgericht, denn die Menschen im Kaukasus sind rau und lieben alles, was hart ist, besonders hartes Geld.

Im Jahr 1990 wurde das kleine Bergland, von dem selbst die Sowjets nicht mehr wussten, das es innerhalb der Grenzen der Sowjetunion überhaupt noch existierte, unabhängig. Es war eine unblutige Revolution, die Asistan die Freiheit brachte. Der 98-jährige Machthaber starb eines Morgens plötzlich, und sein 79-jähriger Neffe Raban Wolt wurde neuer Bürgermeister der Hauptstadt Gulika und zugleich, wie es die Tradition verlangte, Staatspräsident, Außen-, Verteidigungs-, Bildungs-, Wirtschafts- und Finanzminister. Denn Asistan besteht fast nur aus der Hauptstadt und einer Bergkette, die als "der Ring des Teufels" bekannt ist. Nach einem alten asistanischen Sprichwort aber sollte man den "Ring des Teufels" nicht in zu viele Hände legen.

Die dunklen Augen Labrolins wirken unter der kahlen Schädeldecke wie die Löcher einer Bowlingkugel. Der bullige Banker führt uns durch Gulika, dessen gotisch grauer Baustil dem Betrachter sofort ins Auge sticht. In den Straßen der Metropole herrscht reges Treiben. Zwar fahren keine Autos und es gibt nicht ein Geschäft, aber an allen Ecken spielen Kinder "Holzkopf". Das ist der Nationalsport der Asistanis. Dabei muss der eine Spieler mit einer Holzlatte auf den Kopf des anderen Spielers einschlagen, bis die Latte bricht oder die Beule höher als zehn Zentimeter ist. "Wir sind Dickschädel", freut sich Labrolin, der mit seinen 55 Jahren für hiesige Verhältnisse ein junger Spund ist.

Als ersten Akt der Freiheit führte der neue Machthaber Raban Wolt die D-Mark ein. In den Sechzigerjahren war er durch ein Austauschprogramm in die DDR gelangt und hatte dort im Westfernsehen Werbung gesehen. Seit er in seine Heimat zurückgekehrt war, schwärmte er den übrigen 300.000 Einwohnern Asistans von dem westdeutschen Wundergeld vor, mit dem alles erreichbar sei.

Lange Jahre war Raban Wolt Chefredakteur der einzigen Zeitung des Landes Novon Novon ("Das Allerneueste"), und es verging kein Tag, an dem er nicht in Leitkommentaren die D-Mark anpries. Im Sommer 1990 war es endlich so weit. Eine Abordnung der neuen asistanischen Regierung kaufte in Berlin Altbestände der Bundesdruckerei auf und führte die D-Mark als Währung ein. Dann schloss man die Grenzen des Landes und wartete ab, was passieren würde.

Die neuartige Wirtschaftspolitik stand unter der Maxime: "Wer Geld ausgibt, verliert Geld". Also kam der Handel völlig zum Erliegen. Dafür entwickelte sich keinerlei Inflation, und vor allem verringerte sich nicht das Vermögen der asistanischen Bevölkerung, die dem brillanten Präsidenten Wolt dafür noch heute dankbar ist, auch wenn man auf vieles verzichten musste.

Labrolin gähnt, und zwischen seinen großen Zähnen hängen nun die Reste des harten Huhns, das er mit einem Südgulikaner herunterspült, dem sauren asistanischen Rotwein. Der Banker Labrolin hat Mittagspause, und für ihn ist es kein Problem, seine Siesta auf drei oder vier Stunden auszudehnen. Also zündet er sich erst einmal ein Pfeifchen an. "Wir haben damals gedacht, goldene Zeiten kommen. Hartes Leben ist hinter uns, hartes Geld ist vor uns", berichtet Labrolin durch die Rauchschwaden hindurch. "Aber Präsident Wolt hat Fehler gemacht, viele Fehler!"

Heute kann Labrolin so hart urteilen, denn seit kurzem steht eine Frau am Ruder des kleinen kaukasischen Staatsschiffs: Irrga Waka Hult. Die 72-jährige Geschäftsfrau ist die Cousine des alten Präsidenten, der vor etwa einem Jahr verstarb. Genau weiß das keiner, denn in den vergangenen zehn Jahren hatte man Wolt nur selten gesehen. Wolt war ein Vertreter der "Warter", die alle weiteren Entwicklungen erst einmal abwarten wollten. Hult hingegen ist eine Frau des Volkes und eine "Drängerin", wie die jugendlich forschen Kräfte genannt werden, die Asistan langsam an die Realitäten der Welt draußen heranführen wollen. Und dafür soll das größte Tabu des Landes gebrochen werden: Man will die D-Mark ausgeben.

"Ich würde gern etwas kaufen, ganz egal was", meint Banker Labrolin, der hinter der neuen Präsidentin steht, die übrigens auch Außen-, Verteidigungs-, Bildungs-, Wirtschafts- und Finanzministerin ist. "Wir wollen die D-Mark ausgeben, jetzt!", fordert Labrolin energisch. Auf die Frage, was sich dann ändern werde für das Land, das weder Fernsehen noch Internet kennt, weiß der Banker nicht sofort eine Antwort. Doch dann bittet er den Berichterstatter in seine Bank, um ihm etwas zu zeigen.

Obwohl es in Asistan keinen Handel gibt, ist die Versorgung der Bevölkerung gewährleistet. Selbst Chefbanker Labrolin weiß nicht genau warum und spekuliert: "Wir haben Verwandte in aller Welt. Tun immer eine gute Tat für die Heimat daheim. Und wir brauchen nicht viel: am Tag Geld, nachts Liebe und am Wochenende ,Holzkopf'."

Labrolin führt uns in sein Heiligtum, den einzigen Raum der "Führenden Nationalbank von Asistan". Mittendrin sind Geldmünzen zu einer meterhohen Pyramide aufgehäuft. "Das Groschengrab", erklärt der Bankdirektor. Vor uns liegt der Staatsschatz von Asistan. Aber es sind nicht nur Groschen. Im Sonnenlicht funkeln Pfennige und Fünfziger, Markstücke und Fünfer. Labrolins Augen leuchten verzückt. Ob er denn keine Angst vor Bankräubern habe, fragen wir den wackeren Bankier. Davon habe er gehört, meint Labrolin, aber er persönlich lehne so etwas ab. Das führe schließlich zu nichts.

Zärtlich streicht er über das blitzende Metall. In diesem Moment ahnt jeder, der sich der asistanischen Seele einmal genähert hat, dass die letzten Anhänger der D-Mark sich nie von ihrem sagenhaften Schatz trennen werden. Glückliches Asistan, das Paradies des treuen Geldes.

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