die wahrheit: Amsel, du Sau!
Kleine Würdigung und Kritik der heimischen Singvögel.
Leider haben unsere lieben Gesellen, die Singvögel, die erbaulichste ihrer Tätigkeiten, das Singen, ja weitgehend bereits wieder eingestellt, weil sie ihrer Natur gehorchen, warum auch immer. Sie wollen es nicht anders, obwohl sie es ja könnten: weitersingen, bis der Baum umfällt. Aber im Sommer hören die meisten von ihnen auf zu singen. Eine Unverschämtheit.
Das Hausrotschwanzpaar in meinem Hof zum Beispiel weigert sich strikt, die Schnäbel aufzureißen, es sei denn, die beiden Fliegenschnäpper locken ihren Nachwuchs aus der Reserve und bieten ein leises und gewissermaßen lächerliches "sit", "fit" oder "tuc-tuc" dar. Wo sind sie geblieben, die dreistrophigen Lieder des Hausrotschwanzes, der laut Vogeluhr als Erster zu singen beginnt, noch vor der Morgendämmerung? Liegt es an der verfluchten Jahreszeit? An genetischer Bocklosigkeit? Möchte sich bitte wenigstens meine Hausrotschwanzfamilie ein Beispiel am Rotkehlchen und am Zaunkönig nehmen, die das ganze Jahr über singen? Nicht? Na gut.
Der Komponist Olivier Messiaen schrieb unter anderem die Klavier- und Orchesterwerke "Katalog der Vögel" und "Gesang der Vögel". Er verehrte die Sperlingsvögel, die Passeriformes, für ihre "sanfte Virtuosität", vergaß jedoch zu erwähnen, dass die Talentiertesten, Versiertesten unter ihnen diejenigen Kameraden sind, die ihr Revier am giftigsten verteidigen. Die von Beethoven in der "Pastorale" und von Wagner im "Siegfried", Passage "Waldweben", gewürdigte Nachtigall übrigens, das nebenbei, wird sehr überschätzt.
Die Amsel zum Beispiel. Ihr Revier- und Lockgesang setzt gegen Viertel nach vier ein, die Lieder der schon tätigen Hausrotschwänze und Rotkehlchen ergänzend und übertrumpfend. Die Amsel ist ein derart einfallsreicher und gewandter Sänger, dass ihr der gottgleiche Gitarrist Jeff Beck auf seinem Album "You Had It Coming" (2001) das Stück "Blackbird" widmete. Nur ein Genie wie Beck vermag auf sechs Saiten das Repertoire der Amsel (Schwarzdrossel) nachzuahmen. Man zählt bei der Amsel über dreihundert Motive, sie lernt unausgesetzt dazu und verfeinert ihren Gesang unablässig. Amseln "achten bei Geräuschen, Lauten und Tönen auch auf die Klangstrukturen des Gehörten wie Melodie, Rhythmus und Klangfarbe" (Walther Streffer), und sie imitieren Zivilisationsgeräusche genauso wie etwa das Lachen der Spechte.
Die Amsel ist wahrlich ein komischer Vogel, weit mehr: Sie "genießt den Ton, den die eigene Kehle bildet" (Jacques Delamain, Ornithologe). Doch dieses "mit Schönheitssinn begabte" (Delamain) Tier hat mich, seinen Bewunderer, neulich in der Kardinal-van-Galen-Straße in Stadtallendorf derart gefoppt und verarscht und zum Narren gehalten, dass eine stramme Revision der Amseladoration nun dringend vonnöten scheint.
Mein Exemplar thronte auf seiner Singwarte, einer Tanne, und reihte Motivketten, Dreiklänge, diatonische Intervalle und chromatische Sequenzen aneinander, dass es eine Pracht war. Das waren "feinste Tongirlanden mit einzeln hervorleuchtenden Perlentönen" (Messiaen), mit teils unfasslichen Wendungen. Ich war gebannt, wie erstarrt. Plötzlich aber hielt meine Amsel inne, ließ sich von ihrem Hochsitz auf der Tanne herunterfallen, schlug ein paarmal mit den Flügeln, strich über mich hinweg und schiss mir dabei humorlos ins Bierglas.
Ob ein ähnlich unbotmäßiges, saumäßiges Verhalten unter anderen einzelgängerischen Spitzensolisten üblich ist? "Meisen, heißt es, seien kriminell", referiert Peter Burri in dem Hörstück "Denn sie wissen, was sie tun - Können Tiere kriminell sein?" Was ist mit den Spottsängern, die gern Lieder klauen und nach Gutdünken transponieren? Wie hält es der Gimpel (auch: Dompfaff), dessen Stimmfühlungsruf sich in einem bescheidenen "bit-bit" äußert, mit der Moral? Es sind Gimpel gesichtet worden, die sich Volksweisen angeeignet hatten, ohne zu fragen, und andere Gimpel, die des Menschen Gesang nachmachten und - verbesserten!
Unerhört. Unerhört. Nein, da hört der Spaß endgültig auf. Mögen die Kaiser der "tönenden Umwelt" (a tempo, 6/2009) ob ihrer rasanten Tempi, blitzsauberen Intonation, hohen Register, ob ihrer Improvisationen und Glissandi "das wahre, verlorene Gesicht der Musik" (Messiaen) zeigen, ich schenke meine Liebe fürderhin den närrischen Genossen Mauerseglern, diesen Freunden der Geselligkeit, deren Kunstflugübungen und Flugspiele vor meinem Fenster und über den Wipfeln der Alleebäume ohne Unterlass begleitet werden von einem "srieh-srieh"-Geschrei, das segensreich sogar das Geblöke der Menschen und das faschistoide Gehupe all der Affen hinterm Steuer übertönt.
Aber die Säcke haben sich ja dito schon wieder nach Afrika verpisst.
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