die wahrheit: Im Jahr des Tigers: Ein grosses Problem
Jetzt im Sommer sieht man auf Pekings Straßen vermehrt sinnlos große Menschen. Es sind Touristen aus dem nord- und mitteleuropäischen Ausland,...
... manche über zwei Meter hoch. Diese Menschen machen nicht nur einen erschreckend monströsen Eindruck, sie stehen auch für einen unglaublichen Resourcenverbrauch. Sie benötigen für ihre Körper viel mehr Stoff und Leder als normale Menschen, man muss größere Betten für sie zimmern und sie verbrauchen sogar mehr Atemluft. Sie sind auch eine Gefahr für sich selbst, denn sie bekommen schneller Krebs, Osteoporose und andere schlimme Krankheiten.
Dagegen sind die Chinesen im Durchschnitt sehr viel vernünftiger gewachsen. Kleiner und wohlproportionierter verbrauchen sie entschieden weniger Rohstoffe als ein Giganto-Holländer oder Makro-Deutscher. Auch mir machen sie das Leben leichter: In China bekomme ich keine Genickstarre, wenn ich mich auf einer Party unterhalte, bei schrecklichen Verkehrsunfällen kann ich mühelos einen Blick auf das Opfer werfen und bei Rock- oder Pop-Konzerten sehe ich nicht nur Hälse, sondern die Band.
Es gibt allerdings Chinesen, die mit ihrer idealen Körpergröße nicht zufrieden sind. Diese Leute lassen sich operieren. Und so hat denn Bai Helong, ein Chirurg in Schanghai, in den letzten fünfzehn Jahren 3.000 Patienten die Beine durchgesägt und sie dann in einer langwierigen Prozedur um bis zu acht Zentimeter verlängert. Solche Eingriffe werden jedoch bald nicht mehr nötig sein.
Bereits 2002 meldete die Tageszeitung Peoples Daily ein dramatisches Körperwachstum bei chinesischen Jugendlichen. Sie waren durchschnittlich sechs Zentimeter größer als zwanzig Jahre zuvor. 2008 stellte dann die internationale Kleidergrößenvermessungsfirma Alvanon in einer groß angelegten Vermessungsaktion fest, dass die Chinesinnen mit durchschnittlich 1,63 Meter und die Chinesen mit 1,73 Meter bereits in etwa so groß wie die durchschnittlichen US-Amerikaner sind. Nach Meinung von Ernährungswissenschaftlern ist dieses enorme Größenwachstum auf die eklatante Überernährung zurückzuführen, die in China herrscht, hauptsächlich auf den verstärkten Konsum von Fleisch und Eiern.
Wohl deshalb wurden in den letzten Jahren auch immer mehr große Chinesen entdeckt. Der 2,27 Meter hohe Basketballer Yao Ming zum Beispiel oder Bao Xishun, der mit 2,36 Meter lange Zeit als größter Mensch der Welt galt, bis ihn andere übertrafen, unter ihnen der 2,46 Meter große Zhao Liang aus der Provinz Henan. Noch sind diese Riesen Einzelfälle. Doch das Größenwachstum ist nicht aufzuhalten. Beim Peaches-Konzert in Yugong-Yishan-Club musste ich neulich schon auf Zehenspitzen stehen, um die kleine Kanadierin zu Gesicht zu bekommen.
Ich finde, es wird langsam Zeit, dass unsere Regierung in Peking etwas gegen dieses Lulatschwesen unternimmt. Man sollte eine verbindliche Körpergröße vorschreiben. 1,75 Meter hielte ich für angemessen, ja geradezu ein Gardemaß. Einmal dürfen Sie raten, wer so groß ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen