die wahrheit: Nussknackerin mit Zunge
Schurken, die die Welt beherrschen wollen: Renate "Die Bürste" Künast.
Lange genug mussten sie auf kleinem Fuß leben, waren geschrumpft zu einer winzigen Oppositionspartei, die mit bloßem Auge kaum noch zu erkennen war. Lange genug mussten sie ihre Unzufriedenheit über die viel mächtiger rumorende Konkurrenz, die Mordlust gegen die Regierungen im Bund und den Ländern in sich hineinschaufeln.
Lange genug haben sie auch an diesem 5. November 2010 ihre Emotionen nicht von der Leine gelassen. Jetzt aber fliegt endlich der Deckel vom Topf: Eine neue Zeit, eine neue Welt, ja ein neues Berlin scheint greifbar nahe, und Jubel platzt aus allen Gesichtern.
Renate Künast hat sich zur Mutter aller Grünen in Berlin ausgerufen, ihre Kandidatur als Regierende Bürgermeisterin verkündigt, und ihre Anhänger sprudeln über vor Freude, Sekt und Heilserwartung. Kein Zweifel schwimmt im Rausch der Begeisterung mit: "Morgen gehört uns Berlin und übermorgen Deutschland!", ist in aller Augen gebrannt.
Der Globus ist zu klein für unsere Zukunft, die schon heute den ganzen Horizont ausfüllt! Auf Händen und Füßen wird Künast durch den Saal getragen, die deutsche Kennedy, die neue Obama, die Berlin in eine blühende Landschaft verwandeln und Klaus Wowereit dem Erdboden gleichmachen wird!
Wer heute 55 Jahre zurückblickt, hätte das alles damals voraussehen können. Von den Kinderstrümpfen an zeigt das Neugeborene, das in Recklinghausen, in der schwarzen Welt des Ruhrgebiets, zu Hause ist, beißenden Ehrgeiz, will nach vorn, wo oben ist. Will raus aus den engen Wänden der Familie, wo das Leben kein Kuchenschlecken ist und es mitunter nur die Zeitung von gestern zum Anziehen gibt.
Bereits als Jugendliche besucht sie die Realschule, die die proletarisch getackerten Eltern für zu hoch und arrogant halten. Statt sich wie ihre Klassenkameradinnen auf ein Leben als Tussi oder Boxenluder vorzubereiten, rauft Renate lieber mit den Jungs, dreht einem sogar den Arm ab, burschikos, wie sie ist. Eine Zeitlang will sie Maschinenschlosser werden, noch heute kann sie ein ausgewachsenes Auto in seine Körperteile zerlegen und als Flugzeug zusammensetzen.
In den Schulferien jobbt sie in den nahe gelegenen Bergwerken und treibt die Stollen, wenn dem elektrischen Bohrhammer die Puste ausgeht, mit bloßen Fäusten weiter. So schont sie ihre Füße, sie braucht sie noch als Profifußballerin. Doch in den Siebzigern ist es dafür zu früh, noch sollen Frauen nicht gegen Männerbälle treten.
Aber Renate hat auch eine weiche Ader. Zieht Zimmerpflanzen auf, lernt perfekt Wasser kochen, träumt sogar davon, Sozialarbeiterin zu werden. Als sie erwacht, ist sie Sozialarbeiterin, befindet sich in Berlin und hat die schweren Knackbrüder im Gefängnis Tegel direkt vor sich. Die ängstigen sich bald so tief, dass die eisenharte Renate gehen muss.
Sie bleibt dem Milieu treu, wechselt in die Politik. Aus alter Gewohnheit schließt sie sich der Partei an, die für die Emanzipation der Tiere, Bäume und Frauen kämpft, den aufrechten Gang hatte sie ja schon als Kind erlernt. Renate, die "heilige Johanna der Hinterhöfe", wie Brecht sie feiert, bohrt sich in jede Debatte, hat auch hier keine Scheu vor Männern mit großen Hufen, lebt bald im Berliner Abgeordnetenhaus, steigt in den Reichstag auf.
Dann "der Gipfel" (Reinhold Messner): Renate Künast setzt sich die Ministerinnenhaube auf, sagt als eingeborene Stadtpflanze Ja zum Acker, sorgt ein für alle Mal dafür, dass es heute keine Gentechnik mehr auf dem Teller gibt, keine verbrauchten Landschaften, dass jeder Bauer zum Küheflüsterer wird.
2005, die Union hat die Bundestagswahl an sich gerissen, muss sie den Stuhl hinwerfen: "Künast in Halbtrauer", Arno Schmidt macht ewige Literatur aus dem starken Trauma. Doch Renate ist noch stärker. Statt die Beulen in sich hineinzufressen wie andere, wird sie erst recht tag- und nachtaktiv, ist auch in der Opposition mit vollem Körpereinsatz und ganzer Zunge unterwegs, in Berlin und jwd:
Während sie die Weltausstellung in Schanghai besucht, spricht sie mit klarer Kehle auf dem Freiheitsfest des Ungarischen Kulturinstituts in Berlin und führt mit dem Kopf voran einen Protestzug gegen die Hochmoselbrücke bei Ürzig an, derweil sie im Wendland die Alpine Messe für nachhaltige Mode steil eröffnet und bei der Freisprechungsfeier der Bernauer Alternativen Frisörinnung den Nussknackermarkt einer Solarfirma aus Lummerland in Anwesenheit von Renate Künast besichtigt, kurz nachdem sie wenig später den Erstklässlern am Ernst-Abbe-Gymnasium die Biobrotbox vorgelesen hat und zu Hause ihrer inneren Vollendung nähergerückt ist, bevor sie zeitgleich als Schirmherrin des ambulanten Babyhospizes Wanne-Eickel die Ökosteuer auf Integrationskurse für friedensstiftende Einsätze in … genug, bevor der Text überläuft!
Denn auch so ist klar: Für Renate Künast stehen in Berlin, in Deutschland und im ganzen bewohnten Universum alle Ampeln auf Grün!
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