die wahrheit: Im Jahr des Tigers: Kulturrevolution jetzt!
Klassische chinesische Parks wie etwa der Park rund um den Sommerpalast in Peking gefallen mir sehr gut. Hier ist das ...
... Verhältnis zwischen Menschengemachtem wie Pavillons, Brücken oder Skulpturen und der Natur ausgeglichen, und mal abgesehen von dem missglückten Marmorboot gibt es nichts, was das Auge stört.
Anders sieht es in den modernen chinesischen Parks aus. In Peking wird noch der kleinste Pocketpark mit Standbildern, Brunnen, Denkmälern, abstrakten Skulpturen, Pavillons, bizarren Steinen und erläuternden Schildern zugestellt.
Die Gehwegplatten werden mit Kalligrafien beschriftet, die Bäume mit Lampions und Bannern zugehängt, das Ganze wird mit chinesischer Musik beschallt und nachts mit Lampen fünferlei Designs sowie blinkenden Glühwürsten illuminiert. Offensichtlich glaubt der heutige chinesische Gartenbauarchtiktekt an den Grundsatz: Je vollgestopfter, desto besser.
In der Provinz ist es noch schlimmer. Dort werden die Parks gern an einem Thema entlang möbliert. Bis 2008 war die Vorgabe hauptsächlich "Olympia", so dass es in diesen Parks vor klassischen nackten griechischen Olympioniken, Hand- und Fußabdrücken in Beton von aktuellen chinesischen Olympiakämpfern, stilisierten Fackeln und Büsten des in China als Halbgott verehrten Belgiers Jacques Rogge nur so wimmelt.
Beliebt ist auch das Thema "Musik". In diesen Parks gibt es Plätze, in die Klaviertasten und Noten in die Gehwegplatten eingraviert sind, Wasserorgeln mit Musikuntermalung (Walzer, Madonna und Märsche) und Komponistendenkmäler (immer: Beethoven und Johann Strauß, seltener Bach und Chopin).
Manchmal ist das Thema allerdings auch ein Rätsel. So sah ich neulich im Haizhiyun-Park, einem großen Landschaftspark am Rande der ostchinesischen Stadt Dalian, neben riesigen grünen Grashüpfern und Ameisen auf meterhohen Eiern, eine gigantische Maus, die Kontrabass spielte, ein glatzköpfiges chinesisches Kind mit nacktem Hintern, an dem gerade ein Mops roch, und einen zehn Meter langen Urzeitfisch, der an einer Straßenböschung klebte.
Auf einer Klippe, die ins Meer hineinragte, dienten überdimensionierte Klaviertasten als Sitzgelegenheiten; daneben stand eine verträumt geigende Bronze-Frau; in einem Waldstück graste eine lebensgroße Giraffenherde; auf einer Bergwiese sausten auf Skateboards weiße Kinder zu Tal und neben dem Park-Parkplatz schien eine zwei Meter hohe Kaurimuschel die geparkten Autos zu erschlagen. Von diesem Park träume ich manchmal nachts. Wache ich auf, frage ich mich, wer sich so was ausdenkt und welche geheime Botschaft dahinterstecken mag.
Ich glaube, sie enthält nichts Gutes. Und deshalb will ich an dieser Stelle meine chinesischen Mitbürger fragen: Wie wäre es mal wieder mit einer Kulturrevolution? Es muss ja keine große sein, nichts Flächendeckendes. Es ginge nur darum, den ganzen Krempel in den Parks zu zerschlagen. Und dann bitte alles liegen lassen, damit viel Gras über diese Episode der chinesischen Kunstgeschichte wächst.
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