die wahrheit: Der homosexuelle Mann
… ist Teil einer großen Verschwörung. Die Voraussetzungen dafür sind Teil seiner Natur: Er intrigiert gern, ist verschlagen und hat gelernt, sich ...
... mit falschen Namen und falschen Identitäten auszustatten, und wenn mehr als drei homosexuelle Männer ihre Köpfe zusammenstecken (und sich durch keinerlei sexuelle Aktivitäten ablenken lassen), können sie nur einen bösen Plan zur Eroberung der Weltherrschaft aushecken.
Jetzt ist es wieder mal so weit: Nach der Wikileaks-Enttarnung des Hutsammlers und Fliegefetischisten Helmut Metzner als Plaudertasche der FDP spekulierte man in den Medien über "homosexuelle Seilschaften", beschwor die falsche "Solidarität unter Schwulen", hetzte gegen die "Mickey-Mouse-Bubis" bei den Gelben.
Der schwule Verschwörungs-Mythos ist zurück. Und hat bereits eine lange Geschichte. Wechselweise sprach man früher von der "Homo-Mafia" oder von der "Homintern" - in Anlehnung an Lenins Kommunistische Internationale, der Komintern. Die "Homintern" tauchte 1940 zum ersten Mal öffentlich auf in der literarischen Zeitschrift Partisan Review, geäußert ausgerechnet von einem Schwulen, dem britischen Lyriker W. H. Auden, der damit nichts weiter ausdrücken wollte als seinen Wunsch nach einer internationalen homosexuellen Gemeinschaft.
Diese Steilvorlage ließen sich die Homo-Gegner nicht entgehen, und in vielen Publikationen der fünfziger und sechziger Jahre war immer dann von der "Homintern" die Rede, wenn es darum ging, Homosexuelle als gefährlich zu denunzieren. Entsprechend hatten Schwule keine Chancen beim Militär, als Beamte oder in anderen öffentlichen Einrichtungen, sie waren ein "Sicherheitsrisiko". Von der "Homintern" sprach man auch, als in Großbritannien eine ganze Clique ehemaliger Cambridgestudenten als Sowjetspione entlarvt wurden, einige von ihnen homosexuell.
Selbst in dem legendären Time-Essay vom Januar 1966 über "Homosexuelle in Amerika" ist von der "Homintern" die Rede, "manchmal übertrieben", heißt es da, aber sind nicht "das Theater, der Tanz und die Welt der Musik" fest in schwuler Hand? In anderen Publikationen der Zeit werden gar schwule Modeschöpfer fantasiert, die sich einmal im Jahr an einem geheimen Ort treffen, um die Pflichtkleidung der Frauen für die nächste Saison zu beschließen.
Die Homosexuellen selbst mussten sich immer wieder solcher Verdächtigungen erwehren, das Thema ist ein Standard in den Schwulenzeitungen der sechziger Jahre. "Ich habe mir immer schon", schreibt Jean Lauterbach-Wert 1966 in der Zeitschrift Der Weg, "so eine richtige ,Homintern' gewünscht, eine solche, die mir den Weg nach ,oben' erleichtert.
Bisher habe ich sie noch nicht gefunden. Bisher musste ich mich - aus wohlerwogenen Gründen - immer mit mir selbst verschwören, um keine Unannehmlichkeiten zu bekommen. Wie wohl täte da eine ,Verschwörung des Schweigens'. Sie existiert leider nur in Gedanken derer, die uns verfolgen wollen. Schade. Wie gut wäre es, sie existierte wirklich."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz