die wahrheit: Zeichenwechsel
Deutsch heute: Neue Regeln für den Sprachgebrauch in Ministerien.
Kaum hatte Verkehrsminister Ramsauer noch vor Jahresende rigoros alle anglizistischen Vokabeln aus dem Verkehr gezogen, machte sich die Kanzlerin dessen Jagd auf alles Deutschwortfremde zu eigen und verfügte gleich nach ihrer Neujahrsansprache mit lautem Halali, dass diese schon beim nächsten Mal nicht mehr am Silvesterabend ausgestrahlt werden solle, sonder in der "Jahresendlichtabenddämmerung".
Im Bereich der Gesundheitspolitik geht es vor allem den lateinischen Begriffen an den Kragen. Aus der letztlich unbegreiflichen PDI, der "Präimplantationsdiagnostik", wird schlicht die "Voreinverleibungswahrsagerei". So bleibt wissenschaftlich korrekt ein Restrisiko für die Ethikkommission zum Diskutieren übrig. Die im eben niedergeschriebenen Satz verwendeten Latinismen werden natürlich gleichfalls eingedeutscht: und zwar nacheinander in: "Gefahrenüberbleibsel", "Wertetischgesellschaft" und "Sprechblasenabsonderung". Auch im pharmazeutischen Alltag soll es in Zukunft keine Missverständnisse bei der Medikamentenbezeichnung mehr geben. "Antibiotika" kommen ebenso auf die "Schwarze Liste hässlicher Fremdbegriffe" (SLHF) wie "Generikum". Ersetzt werden die bösen Wörter durch "Kleinsttierabwehrwaffen" und "Wehrersatzarznei".
Damit hat die Arbeitsgruppe auch gleich den Bogen ins Verteidigungsministerium geschlagen und dort besonders viele Worte aus der Kommandobrücke der Hardthöhe herausgenommen. "Taskforces" wird es ab sofort keine mehr geben. Stattdessen sind nun "Aufgabenkräfte" unterwegs. Von ihnen streng zu unterscheiden sind die bisherigen "Krisenreaktionskräfte", die zu "Schräglagenzuspitzungsgegenmittel" mutieren. Die verbreiteten Abkürzungen KFOR und SFOR dürfen gleichfalls nicht mehr verwendet werden. Aus den "Kosovo Forces" hat man kurzerhand "Amselfeldwächter" gemacht und aus den SFOR-Bataillonen - damit sich wenigstens das Kürzel weiterhin verwenden lässt - die "Schröder-Fischer-Osterweiterungs-Riege". Darüber hinaus wird dem wachhabenden Minister, der sich in Zukunft aber "Zielrichtungsbestimmer" nennen soll, noch ein dickes Lob ausgesprochen, mit Begriffen wie "kriegsähnliche Zustände" den jüngsten Sprachbeschlüssen schon sauber und angemessen deutsch vorgegriffen zu haben. Besonders findet die interne Umbenennung Afghanistans in "Der Ostheimat vorgelagertes Schluchten- und Geröllhügelland" große Anerkennung.
Viele neue Wortvorschläge müssen allerdings noch in bilateralen ("zweigliedrigen") Verhandlungsrunden geklärt werden, weil es sich um ressortübergreifende Neubestimmungen handelt. So zählt der zu verbannende "Militärtransporter" sowohl zum Guttenberg- als auch zum Ramsauergelände. "Gefechtsmengenüberbringer" wäre also ebenso möglich wie "Olivbeziehungsweisegraustoffträgerladeflächenkraftfahrzeug". Und bei der anstehenden Umbenennung des größten deutschen Flughafens und der dahinter stehenden Aktiengesellschaft, der Fraport AG, gibt es ebenfalls eine ganze Handvoll Vorschläge. Allerdings scheint es auf "Geburtsort-Goethes-Flugplatz" hinauszulaufen, während "Aktiengesellschaften" künftig wohl "Pappschnippselversammlungen" heißen.
Das legt einen abschließenden Blick in den Brüderlebereich nahe, wo sich besonders viele Fremdwörter eingenistet haben. Das versprochene "XXL-Wachstum" gab bereits die Richtung vor; folgen soll aber die Zusammenlegung aller bisher getrennten Unternehmensrechtsformen zu einer übersichtlichen GmbH&CoKGAGGbRmbHFDPe.V. Und das Bruttosozialprodukt dürfte als "Mehrvomnettogemeinwesenbezogenesmalaufgabenergebnis" vielen Menschen endlich ein auch emotionales Verhältnis zu den kalten Wirtschaftsdingen ermöglichen.
Derweil sitzt der federstreichführende Sprachverkehrserneuerer Ramsauer gemütlich in seinem gepolsterten Klapprechner und hat nach den Anglizsmen und Latinismen auch schon die griechischen, arabischen und hebräischen Störenfriede in seinen Gesetzestexten aufgespürt. Automobile werden zu "Selbstbewegern", der Kadi vor dem Verkehrsgericht zum "Soforttodesurteilsfäller" und die unerträglichen Zustände bei der Deutschen Bahn nicht mehr mit "Sodom und Gomorrha" verglichen. Dafür stehen ja jetzt die urdeutschen Missbrauchszentren Heppenheim und Augsburg zur Verfügung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?