die wahrheit: Debile Kastanien

"Nein, das werde ich nicht!" Sylvia stampft trotzig mit dem Fuß auf den Boden und sieht so bedrohlich aus wie eine Fünfjährige auf Speed...

... "Du musst ja nicht viel machen. Du musst nur …", nimmt Matilde Anlauf. "Gar nichts muss ich machen! Außer Kaffee trinken und rauchen", unterbricht Sylvia die Beschwichtigung, greift mit links ihre Tasse und lässt mit rechts das Zippo schnippen. "Hier drinnen ist …", beginnt Matilde, doch auch der Hinweis auf ihr Rauchverbot zerbröselt unter Sylvias feuerspeiendem Blick.

Es sollte ein lustiger Nachmittag werden, hatte Matilde angekündigt. Tee und Kekse und ganz zwanglos. Wir würden sicher viel Spaß haben. Wie früher. Ich dachte an Filme aus den achtziger Jahren und an Likör. Aber jetzt? Jetzt sitzen wir hier mit Sekundenkleber und Zahnstochern, mit Eicheln und Kastanien. So viel Früher hatte ich mir nicht vorgestellt. Vier erwachsene Frauen in einem Meer aus Krepppapier.

"Sie kommt damit nun mal nicht allein klar", hatte Matilde uns vorhin erklärt. "Sie ist da völlig unbegabt. Computer, das ja! Aber Kastanienmännchen?" Sie seufzte. "Seit meine Schwester wieder arbeitet, habe ich als Patentante doch Verantwortung." Sie sah uns flehend an. "Du hast Verantwortung", hatte Sylvia gezischt. "Nur weil deine Schwester nicht weiß, wie das mit der Verhütung funktioniert, ruiniere ich mir für deine Nichte nicht die Fingernägel!" Und dann hat sie das Feuerzeug rausgekramt.

"Habt ihr euch eigentlich mal überlegt, was uns ohne Kinder erspart bleibt?", fragt Sylvia drei Zigaretten später. "Als Mutter musst du doch immer jemanden enttäuschen. Schon allein, weil diese blöden Schmierzeichnungen mit dem, was ein Wachsmalkasten farblich so hergibt, garantiert nicht zu deiner Espressomaschine passen. Entweder begehst du Verrat an deinem guten Geschmack und hängst den Scheiß trotzdem auf, oder du schmeißt es dahin, wo es hingehört - in die Tonne. Dann plärrt das Kind Rotz und Schnodder. Das musst du dann auch noch wegmachen."

Nach einem irritierten Seitenblick auf mein kreatives Erzeugnis ergänzt sie: "Und später weißt du noch nicht mal, ob es an dir lag oder an diesen debilen Kastanienteilen, wenn sie durchdrehen und ein Schulmassaker veranstalten." Sie drückt die Zigarette auf der Untertasse aus. "Dann doch lieber gepflegt Espresso."

"Was ist das denn?", fragt nun auch Gisela und greift sich meinen künstlerischen Erguss. "Willst du das Kind etwa traumatisieren?" Sie schaut mich zweifelnd an. "Wieso traumatisieren? Das sieht nicht anders aus, als die Kastanienmännchen, die ich früher in der Schule gebastelt habe. Zwei davon stehen bis heute auf meinem Nachtisch", verteidige ich mich. "Ach, darum!", kichert Sylvia plötzlich. "Was: darum?", frage ich. Doch anstatt mir zu antworten, wendet sie sich grinsend an Matilde: "Vielleicht sollte deine Schwester auch so ein Teil auf den Nachttisch stellen. Einen Zweck scheint es dort jedenfalls zu erfüllen: Abschreckung! Keinen Sex, keine Schwangerschaft. Einige von uns haben damit bis heute Erfolg."

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kari

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