die wahrheit: Neuigkeiten zur Schuldfrage
Als Baum wäre ich eine Niete. Ständig draußen, bei Regen und Schnee, immerzu mit den bloßen Füßen in der kalten, feuchten Erde - ein erkältungsanfälliger Bursche wie ich ...
... würde im Wald unablässig durch seinen bösen Husten auffallen. Dann die Hunde! Ich hasse Hunde, und schon die Vorstellung, dass jeder räudige Fiffi an mir sein Bein heben würde, ohne dass ich ihm in den Hintern treten könnte, macht mich rasend. Nein, wie gesagt: Als Baum wäre ich eine Fehlbesetzung.
Doch derlei Bedenken halten Teresa nicht auf, wenn sie auf dem weiten Feld des esoterischen Hokuspokus ein neues Hobby gefunden hat. "Ha!", ruft sie, als ich das Café Gum betrete: "Komm rüber, sag mir dein Geburtsdatum!" - "Ja", ruft Raimund, der neben ihr sitzt, "raus mit der Sprache!" - "Wahrscheinlich", fährt er fort, "bist du eine neunmalkluge und ziemlich humorlose Kokospalme!" Teresa schaut ihn mit gütigen Augen an und schüttelt den Kopf: "Es gibt keine Kokospalmen", sagt sie nachsichtig, und dann erfahre ich, dass sie kürzlich ihr bislang verschüttetes Ich als Navajo-Schamanin entdeckt hat und neuerdings indianische Baumhoroskope erstellt.
"Ich zum Beispiel", sagt Raimund, "bin eine Hainbuche, und das ist unter den Bäumen so etwas wie der Günstling der Götter: Denn die Hainbuche ist von einer so überirdischen Schönheit, dass selbst das Alter ihre Wohlgestalt nicht zu zerstören vermag. Sie hat einen exzellenten Geschmack, ist warmherzig und gefühlvoll, pflichtbewusst und offen für Neues." - "Allerdings", wendet Teresa ein, "auch etwas egoistisch." - "Na ja …" - "Eitel." - "Okay …" - "Misstrauisch." -"Hm …" - "Berechnend, wankelmütig, grüblerisch."
In diesem Moment gelingt es Raimund, mir das Portemonnaie aus der Hosentasche zu fummeln, und schlagartig kehrt das Lachen in seine Miene zurück. "So denn", ruft er, "jetzt werden wir ja sehen!" Er reicht meinen Ausweis Teresa, und sie zieht die Augenbrauen hoch. "Oha!", macht sie: "Ein Apfelbaum - das ganz große Los: Du bist zärtlich und treu, anmutig, klug und charmant, vor allem aber milde, großzügig, selbstlos - das Schicksal hat es gut mit dir gemeint!"
"Ja, wie?!", sagt Raimund: "Und die schlechten Eigenschaften? Was ist mit Verschwendungssucht oder Schwarzseherei?" - "Fehlanzeige." - "Unzuverlässigkeit, Rechthaberei, zumindest ein Hang zu Schweißfüßen?" - "Nichts davon, der Apfelbaum ist perfekt!" - "Boah", schnauft Raimund, "das ist ja ein Hammer!" Doch als ich gerade anfangen will, das indianische Baumhoroskop als einzig ernst zu nehmende Form der okkultistischen Spökenkiekerei zu preisen, fällt mir unsere paradiesische Konstellation auf: Wenn ich der Apfelbaum bin, dann ist Raimund die Schlange, die Teile von mir an Teresa verfüttern will, die logischerweise Eva sein muss. Aber wer zur Hölle ist dann Adam? Und wer ist Gott? Der Wirt vom Café Gum? Und wird er uns alle aus dem Paradies vertreiben?
Bevor es zum Äußersten kommt, springe ich auf und flüchte vor den beiden, die mir verblüfft nachschauen.
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