die wahrheit: Die Axt im Nazidorf
Als ich den Freunden bekanntgab, in den Braunschweiger Stadtteil Lehndorf ziehen zu wollen, schlich sich ein merkwürdiger Ausdruck auf ihre Gesichter. Ich tat das als Neid ab...
... Dann kam der Umzug. Wir hatten gerade die Eichenschrankwand in die gute Stube gewuppt, da brach es aus einem der Helfer ächzend hervor. "Aber dass dieser Puff hier eine ehemalige Nazi-Mustersiedlung war, in dem nur verdiente Parteimitglieder siedeln durften, ist dir bekannt, oder?" Für mich brach eine Welt zusammen. "Warum habt ihr nie was gesagt? Habe ich nicht bisher immer äußersten Wert darauf gelegt, nur in ideologisch astreinen Weichbildern zu leben?" Sie schauten mich an. "Kann man eigentlich nicht sagen!"
Also versuchte ich mich zu arrangieren und den Menschen hier ihr bisschen Nazismus als Folklore durchgehen zu lassen. Bernardo, mein Nachbar, ein grundsympathischer Spanier, klärte mich auf über Lehndorf. Ein paar Straßen weiter, da wohnte mal ein Hundertfünfzigprozentiger, der in den Dreißigern zu einer städtischen Berühmtheit wurde, weil er seine Stiefmütterchen im Vorgarten in Hakenkreuzformationen gepflanzt hatte. Es wurde ihm nicht gedankt. Die Partei argwöhnte Renitenz und Renegatentum und ließ den Mann von der Gestapo abholen. Aber nichts da, er war lauteren Herzens und konnte die Diensthabenden bald von seiner unverbrüchlichen Treue überzeugen, und so schickten sie ihn kopfschüttelnd wieder nach Hause, nach Lehndorf.
Später erzählte Bernardo noch von einem anderen Ehemaligen, und seine Züge bekamen nun etwas Meuchlerisches. "Ein echter Blockwart, bis ins hohe Alter", drohte er mit geballter Faust. "Was der in seinen goldenen Jahren gemacht hat, damit ist er natürlich nie rausgerückt. Na, wird schon was gewesen sein."
Ständig gab es Ärger. Wenn die Kinder einen Ball über den Zaun schossen, behielt er ihn entweder oder stach vor den Augen der Kleinen mit seinem Finnmesser hinein. Und beim ersten Schneefall kam er gleich mit einem Räumungsplan an den Zaun und konnte sich dann immer mächtig darüber ärgern, wenn Bernardo ihm achselzuckend entgegnete, er sei Ausländer, er könne so was nicht! Nach ein paar Jahren nachbarschaftlichen Kleinkriegs zog er schließlich weg.
"Ich weiß auch genau, warum", lächelte mein Gewährsmann sinister wie ein spanischer Seeräuber. "Ich war beim Holzhacken, da riefen die Kinder nach mir, lauter und ängstlicher als sonst." Er eilte zum Ort des Geschehens. Der Braune war just dabei, die selbstgebauten Zwillen zu zerbrechen, mit denen die Kids ihm wohl ein paar Erbsen drübergezwiebelt hatten. Aber als er Bernardo sah, ließ er sie sofort fallen und lief mit einem gellenden Schrei ins Haus. "Ich wusste erst nicht, was los war, aber dann sah ich die verstörten Blicke der Kinder. Da baumelte doch immer noch meine Fünf-Kilo-Axt am langen Arm."
Nach diesem aufschlussreichen Gespräch war ich endlich angekommen in meinem neuen Zuhause. Ehrensache, dass ich im Winter Schnee räume.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch