die wahrheit: Mit Supergoof im Einsatz
Jungs wie wir sind ja nie so richtig aus dem Robin-Hood- und Superman-Alter herausgekommen, und wie bei allen Macken, die wir haben...
...ist auch dieser Vogel bei Raimund besonders ausgeprägt. Ich glaube, er träumt noch immer davon, den Ausgebeuteten und Entrechteten die Reichtümer zurückgeben zu können, welche die Prinz Johns von heute ihnen weiland raubten. Manchmal, wenn er gedankenverloren an der Theke sitzt, kann man deutlich erkennen, wie er im Geiste an armdicken Spinnenfäden klebend in Höhe der dritten Etage durch die nächtlichen Straßen des Asphaltdschungels saust.
Also spitzt er sofort die Superohren, als wir die Straße hinuntergehen und er von irgendwoher einen Hilferuf vernommen zu haben meint. "Warte, pscht, hör doch mal!", zischt er. Wir bleiben stehen und lauschen, und nun höre auch ich etwas, das wie "Hilfe! Hallo! Hier bin ich!" klingt. Wir tappen ein paar Schritte hierhin und dorthin und entdecken schließlich auf einem Balkon im obersten Stockwerk eines Hauses eine junge Frau. "Endlich!", ruft sie: "Helfen Sie mir, ich hab mich ausgesperrt!" - "Oha!", sagt Raimund und greift sich an den Mantelkragen, als wolle er sich jetzt tatsächlich die Oberbekleidung herunterreißen, um im blauroten Superheldendress zu der Ausgesperrten hinaufzusausen. Im letzten Moment scheint ihm indes einzufallen, dass er gar keine Supernüsse dabei hat - ohne Supernüsse aber hat man keine Superkräfte und würde eine ziemlich alberne Figur abgeben, wenn man plötzlich in Superheldenkluft auf der Straße stünde und nicht zu dem Balkon hinauffliegen könnte.
Mithin rufe ich zu der Lady hinauf: "Helfen? Wie denn?!" Sie verdreht pikiert die Augen: "Na, wie wohl? Sie gehen ins Haus, kommen die Treppe rauf, treten meine Wohnungstür ein und lassen mich wieder rein!" - "Die Wohnungstür eintreten?!", stottere ich entgeistert, doch Raimund ruft bereits: "Alles klar, Rettung naht!" und rennt los.
Mir freilich ist die Angelegenheit nicht geheuer. "Raimund!", rufe ich also, während er auf alle Klingeln drückt und sich die Haustür öffnet; "Raimund!", ehe ich ihm hinterher die Treppen hinaufjachtere; "Raimund!", als er sich gegen die Wohnungstür wirft, die tatsächlich krachend nachgibt; "Raimund!", als er die Frau hereinlässt - und nun weiß ich endlich auch, was mir so seltsam vorkommt: Denn nie, nie, nie hatte ich einmal davon gehört, dass sich eine Balkontür selbsttätig von innen verriegelt.
Und so wundere ich mich denn auch nur wenig darüber, dass die Frau unversehens eine Sprühdose hervorzieht und Worte wie "Mistkerl!" und "Kanaille!" in großen Lettern an die Zimmerwände schreibt, ehe sie über Balkon und Dach wieder entschwindet, während wir von zwei plötzlich hereinstürmenden Polizisten überwältigt werden und erst einige Stunden später auf der Wache erfahren, dass der Superheld und sein unfreiwilliger Knappe keine hilfsbedürftige Frau gerettet, sondern nur der Exfreundin des Wohnungsinhabers per Einbruch den Weg für einen schönen Rachefeldzug freigemacht haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!