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die wahrheitKolumne: Was wackelt, kippt nicht

Ich war mal Zimmermann. Der einzige Beruf in meinem Leben, den ich wirklich gelernt habe. Der Zimmerer liegt auf Platz 8 der gefährlichsten Berufe. ...

... Wäre ich also dabeigeblieben, wäre ich vermutlich längst tot und könnte diese Kolumne gar nicht schreiben. Journalisten sind auf Platz 31 der ungefährlichsten Berufe. Also habe ich offenkundig im richtigen Moment gewechselt. Manchmal trage ich meine Texte vor. Darstellende Künstler sind immerhin auf Platz 26 der ungefährlichsten Berufe.

Meine Jahre als Zimmermann habe ich also längst ausgeglichen. Nur mit der Rente sieht das schlecht aus. Gut, dass niemand weiß, wie diese Kolumne bezahlt wird. Und meine Gesundheitswerte werden auch besser. Von Jahr zu Jahr. Das heißt, je gesünder ich mich ernähre und umso ungefährlicher mein Beruf ist, umso größer wird mein Risiko, im Alter zu verarmen. Was soll ich machen? Schnell noch mit dem Rauchen anfangen?

Auf Platz 1 der ungefährlichsten Berufe steht der Physiker. Aber das galt wohl nur bis Fukushima. Obwohl es ganz so aussieht, als ob dort eher Feuerwehrleute und Handwerker als Physiker verstrahlt werden.

Das Motto von uns Zimmerleuten hieß: "Geld und Angst habe ich nie gekannt." Am ersten Tag meiner Lehre musste ich auf ein wackeliges Holzgerüst steigen, außen hoch, bis zum dritten Stock. Damals wackelten Gerüste noch und waren nicht in der Hauswand verbolzt und man gurtete sich auch nicht an!

Gerüstbauer sind immer auf Platz 1 der gefährlichsten Berufe. Kein Wunder, die müssen erst bauen, wo die anderen dann draufsteigen. Irritierend ist im Vergleich dazu, dass Fliesenleger auf Platz 7 der gefährlichsten Berufe stehen. Noch vor den Zimmerleuten! Zimmerer waren zu Zeiten, als Schwarzarbeit noch normal war, immer neidisch auf Fliesenleger, denn die konnten Quadratmeter abrechnen, wir nur Stundenlohn. Die Fliesenleger waren quasi die Milliardäre unter den Bauberufen. Aber trotzdem sind sie auf Platz 7! Für sie bleibt eigentlich gar nicht genug Zeit, bei dem frühen Tod das Geld auch auszugeben. Aber wie verunglücken Fliesenleger? Auf Knien ausrutschen?

Völlig irritiert war ich über Platz 45 der Liste der gefährlichsten Berufe: Fertiggerichte-Obst-Gemüsekonservierer. Ich hatte nicht mal gewusst, dass es diesen Beruf gibt! Frauen haben übrigens unter anderem deshalb eine weit höhere Lebenserwartung als Männer, weil in den gefährlichsten Berufen, wie Dachdecker, Pflasterer und Bergleute, die Frauenquote so gering ist.

Ich stehe also damals, an meinem ersten Lehrtag, oben auf dem Gerüst, etwas ängstlich, mit schlackernden Knien und rufe zum Gesellen runter: "Ey, das wackelt ganz schön!" Ruft er hoch: "Was wackelt, kippt nicht!" Später lernte ich andere Kernsätze: "Mach hin, das wird kein Wohnzimmerschrank." Und natürlich: "Geht nicht, gibts nicht!"

Wenn man sich diese aktuelle Untersuchung besieht, muss man schlussfolgern, dass die früh sterbenden Zimmerleute und Gerüstbauer also den langlebigen Physikern die Rente bezahlen. Da wackelt aber ganz gewaltig was im System.

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